“Wieder-Einführung der Meisterpflicht ist Fehleinschätzung der Realität”

Sven Henry Wegerich äußert sich zum Interview mit Holger Seit zum Thema Generalisten

In der vergangenen Woche haben wir ein Interview mit Holger Seit veröffentlicht (siehe hier). Seit ist beim Landesverband der Bayerischen Bauinnungen als Geschäftsführer u. a. für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich und äußerte sich zum Thema aus Sicht seines Verbandes. Dazu bekamen wir nun folgenden Leserbrief von Sven Henry Wegerich von Wegerich Public Relations:

“Ich habe obiges Interview mit Holger Seit über die „Mobilen Generalisten“ mit Interesse gelesen, finde jedoch, dass einige wichtige Aspekte aus meiner Sicht nicht ausreichend berücksichtigt wurden.

Wiedereinführung der Meisterpflicht

Die Wiedereinführung der Meisterpflicht zu fordern ist ein Standpunkt, der genauso gestrig ist, wie der Wunsch nach einer Rückkehr zur D-Mark. Mit neuen Rahmenbedingungen muss sich auch das Handwerk arrangieren und diese akzeptieren nach der Abschaffung der Meisterpflicht (was ja fast 15 Jahre her ist). Selbstverständlich hat sich durch die neuen rechtlichen Rahmenbedingungen die Zahl der Fliesenleger deutlich vergrößert und natürlich ist auch der Wettbewerbsdruck für die Handwerker deutlich gestiegen, aber auch die Möglichkeiten sind zahlreicher geworden. Jetzt wieder die Einführung der Meisterpflicht zu fordern, damit die Konkurrenz kleiner wird und wieder mehr Aufträge bei den Meisterbetrieben bleiben, ist meiner Meinung nach eine Fehleinschätzung der Realität. Die vielen Mobilen Generalisten haben ja nicht ohne Grund ihre Aufträge gerade von Privatpersonen erhalten – da hätte das Handwerk viel früher aktiv werden und reagieren müssen.

Dass fertig ausgebildete Gesellen irgendwann den Ausbildungsbetrieb verlassen und dann ggf. auch ihre Leistungen im Wettbewerb zu dem Lehrbetrieb auf dem Markt anbieten, gab es schon immer – allerdings war in der Vergangenheit dafür erst ein Meistertitel notwendig. Diesen Umstand jetzt als Grund für den Rückgang der Ausbildungsbereitschaft anzuführen ist in meinen Augen viel zu kurz gedacht und fadenscheinig.

Die Meisterbetriebe müssen ihre Vorzüge (und damit kann nicht nur der Meisterbrief und eine Beschränkung der Anzahl von Betrieben nur mit einem Meisterbrief gemeint sein) glaubhaft nach außen darstellen. Warum soll ein privater Bauherr einen Fliesenlegerbetrieb mit Meistertitel beauftragen? Wo sind die erlebbaren, wirtschaftlichen und handwerklichen Vorteile für ihn? Hier ist Öffentlichkeitsarbeit, Kommunikation und eine glaubwürdige Eigendarstellung rund um den eigenen Standort der Fliesenleger gefragt. Er muss selber aktiv werden und potenzielle Kunden / Auftraggeber auf sich aufmerksam machen, Netzwerke knüpfen, Multiplikatoren aktivieren und neue Ideen entwickeln. Dass die Leistung des Handwerkers qualitativ stimmen muss, ist selbstverständlich. Aber sie muss auch bekannt und erlebbar gemacht werden. Ganz im Sinne der bekannten Redensart: Klappern gehört zum Handwerk.

Ausbildung attraktiv machen durch starke Eigeninitiative

Das Handwerk und auch die Fliesenleger haben es bisher nicht geschafft, ihre Ausbildungs- und Karrieremöglichkeiten für junge Menschen attraktiv zu gestalten. Hier sind die gemeinsamen Initiativen des Handwerk bzw. der Berufsverbände natürlich gefordert, aber ganz besonders auch die Eigeninitiativen in jedem Betrieb. Da sind die Kreativität und der persönliche Einsatz des Chefs gefragt. Dass alle Handwerksbetriebe Nachwuchssorgen haben, ist ein alter Hut. Es interessiert keinen potenziellen Kunden, ob ich unter Fachkräftemangel leide und einfach kein geeignetes Personal für meinen Betrieb bekomme. Das ist das Problem eines jeden Unternehmers. Ich suche einen Fachmann, der mein Problem lösen kann. Wenn ich ein Restaurant besuche, erwarte ich auch, dass der Inhaber einen Koch und einen Kellner hat und ich nicht selber mein Essen kochen muss. So bieten z.B. Sanitärhandwerker „Das Bad aus einer Hand zum Festpreis“ an. Der Kunde beauftragt den Sanitärbetrieb mit dem Einbau des neuen Bades, fährt eine Woche in Urlaub und hat nach der Rückkehr ein neues Badezimmer – blitzblank und sauber mit einem Blumenstrauß oder einer Flasche Sekt. Damit hat der Handwerker einen kostenlosen und glaubwürdigen Multiplikator für seine „Meisterleistung“ gewonnen. Gleichzeitig ist das guter Kundenservice und eindrucksvoller Beleg für höchste Qualität.

Wer ist der Schadens-Verursacher?

Dass die Zahl und Größe der Schäden gestiegen ist, kann auch mit der gestiegenen Zahl der Verarbeiter und der bearbeiteten Aufträge zusammenhängen. Dass dies auch von den Sachverständigen des Landesverband der Bayerischen Bauinnungen bestätigt wird, sagt aber noch nichts über die Verursacher der Schäden aus. Das kann jeder sein, Meisterbetrieb oder Mobiler Generalist. Dazu wäre eine Erfassung, Erhebung und Dokumentation aller bearbeiteten Schadensfälle und die Qualifikation der Verursacher erforderlich. Um es mit den Worten von Holger Seit zu sagen: Eine Gruppe von Markteilnehmern herauszugreifen und für den Anstieg der Schadensfälle verantwortlich zu machen ist nicht zielführend.

Blick in die Zukunft 

Statt für eine Wiedereinführung der Meisterpflicht für alle bei der Politikvertretern zu werben oder diese zu fordern, sollten sich die Verbände und das Handwerk gemeinsam für eine Veränderung der Vergaberichtlinien bei Öffentlichen Auftraggebern einsetzen. Auf der anderen Seite wäre es hilfreich, wenn die Verbände die einzelnen Mitgliedsunternehmen zu eigenen, regionalen Presse- und Kommunikationsaktivitäten motivieren – und auch weiterhin aktive nationale Kommunikation für die Leistungen der Fliesenleger übergreifend betreiben. Fliesenleger (wie alle anderen Handwerker) müssen heute nicht nur gute Handwerker sondern auch Kaufleute, Ausbilder, Teamplayer, Motivatoren, Ideengeber und vieles mehr sein. Der erworbene Meistertitel ist ein Mehr an beruflicher Qualifikation gegenüber Wettbewerbern wie den Mobilen Generalisten. Er kann gut in der Außendarstellung der handwerklichen Leistungen und zur Positionierung des Betriebes in der Region genutzt werden.

Diesen Spagat sehe ich bei meinen Kunden aus der Bauzulieferindustrie und deren verarbeitende Handwerker täglich und immer wieder. Dass der Handel die „werkstattlosen Handwerker“ als zusätzliche Absatzquelle sieht ist klar und kommt auch auf gut in dem Interview mit Johannes Lensges von hagebau ja auch zum Ausdruck.

Mit freundlichem Gruß

Sven Henry Wegerich
Wegerich Public Relations”

 

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