Cersaie: Ein Branchentreff im Wandel

Die Erwartungen an eine Fachmesse haben sich verändert

So sicher wie im Herbst die Blätter fallen, so sicher findet im September die internationale Fliesenmesse in Bologna statt – in diesem Jahr bereits zum 42. Mal. Seit Jahrzehnten pilgern Fachleute aus aller Welt in die italienische Studentenstadt, um ihre Marktpartner zu treffen. Doch 2025 war manches anders.

Die Cersaie empfing ihre Besucher – wie schon im vergangenen Jahr – gleich wieder mit einem Streik, von dem auch die Taxis betroffen war. Damit nicht genug: Am Montag gab es zudem in der Umgebung des Messegeländes eine Demo, so dass der gesamte Verkehr rund 2 km vor den Eingängen blockiert war. Das sorgte am ersten Messetag dafür, dass die Hallen merklich leerer waren.

Erster Tag am Haupteingang: Streik und Demo sorgten für gähnende Leere.

Von einer Messe erwartet man nicht nur eine funktionierende Infrastruktur, sondern auch gute Kontakte, ertragreiche Geschäfte, interessante Gespräche und im besten Fall neue Kunden. Dieser Anspruch wurde in Bologna über viele Jahre erfüllt – trotz der typischen Konjunkturzyklen. Insgesamt entwickelte sich die Branche stetig nach oben.

Dann jedoch kamen Corona, der Ukrainekrieg und eine Neubaukrise. Besonders in Deutschland ist der Fliesenabsatz stark eingebrochen. Viele hofften auf eine Belebung des Wohnungsbaus durch die politische Wende in Berlin – bislang allerdings vergeblich. In den Auftragsbüchern ist von einem Aufschwung nichts zu sehen.

Das andere Extrem: Haupteingang gegen 9.00 Uhr mit langen Schlangen an der Eingangskontrolle.

Während die Stimmung auf der BAU in München zuletzt vergleichsweise positiv war, überwog in Bologna Skepsis. Manche Branchenkenner hoffen nun erst für 2026 auf eine Trendwende. Bis dahin versuchen Unternehmen, mit moderner Technik und einem stabilen Mitarbeiterstamm gerüstet zu bleiben.

Rückzug deutscher Aussteller

Auffällig ist der Wandel im Ausstellerverzeichnis: Viele deutsche Traditionsfirmen fehlen inzwischen. Namen wie Villeroy & Boch, Agrob Buchtal, Boizenburg oder Steuler sind nicht mehr vertreten. Auch zahlreiche Zubehörlieferanten wie Dural, Alferpro, Proline, Blanke, Sopro oder – erstmals in diesem Jahr – sogar Schlüter Systems haben Bologna den Rücken gekehrt.

Standkonzepte und Marketing in der Fliesenbranche müssen emotionaler werden, hier ein positives Beispiel von Cevica.

Schlüter-System, Weltmarktführer bei Fliesenprofilen und sogar mit einer eigenen Gesellschaft in Italien aktiv, zog sich kurzfristig zurück. Grund war Unzufriedenheit mit den Serviceleistungen der Messegesellschaft. Dies haben wir zum Anlass genommen, uns vor Ort intensiver umzuhören – und erhielten viele kritische Stimmen zum Service der Messe.

Oliver Semsch, Vertriebsdirektor Westeuropa bei Rako: „Die Frage ist: Braucht man jedes Jahr eine Messe? Das überfordert eigentlich Industrie und Handel. Ein Zweijahresrhythmus wäre deshalb sinnvoll.“

Kritik am Messe-Service

Ein häufig genannter Kritikpunkt: Kleinere Aussteller wurden aufgefordert, ihre Standflächen zu vergrößern – andernfalls hätten sie keinen Platz mehr erhalten. Damit verbunden sind höhere Kosten. Zudem steigen die Preise der italienischen Messebauer stetig. Für statische Gutachten oder spezielle Zertifikate werden teils hohe Zusatzgebühren verlangt. Auch Serviceleistungen rund um den Standbau sind deutlich teurer geworden. Die Parkplätze im Freigelände, früher kostenfrei, werden nun ebenfalls nur noch für Gebühren vergeben.

Für jede Stellwand ein Zertifikat – am liebsten aus Italien: Der Standbau auf der Cersaie wird immer anspruchsvoller und teurer.

Ist der jährliche Rhythmus noch zeitgemäß?

Die Branche diskutiert darüber hinaus seit Jahrzehnten vergeblich, ob ein zweijähriger Turnus sinnvoller wäre. Schließlich sind Produktzyklen in der Fliesenindustrie lang: Fliesen verbleiben beim Endkunden oft zehn Jahre oder länger. Zudem landen viele der auf der Messe vorgestellten Neuheiten erst Monate später in den Musterschränken des Handels – kurz bevor die nächste Messe ansteht.

Thomas Jaraczewski, Vertriebseiter mapei: „Ich kann verstehen, dass andere Hersteller Hausmessen veranstalten. Wenn die Hersteller dann auf der Cersaie noch einen kleinen Stand haben, finde ich das akzeptabel.“

Dass die Messegesellschaft trotzdem am jährlichen Rhythmus festhält, liegt auch an den wirtschaftlichen Interessen. Der italienische Herstellerverband Confindustria Ceramica scheint die Messepolitik ohne Widersprüche mitzutragen. Es bleibt die Frage: Macht die Messe noch eine Veranstaltung für die Branche – oder in erster Linie ein Geschäft für sich selbst?

Solche faszinierenden Einblicke in die Welt der Keramik kann keine Zoom-Konferenz vermitteln.

Messen sind weiter gefragt

Trotz aller Kritik darf man nicht übersehen: Die Messe bietet nach wie vor die Möglichkeit, Kunden aus aller Welt zu treffen. Gerade nach der Pandemie hat sich gezeigt, dass der persönliche Austausch nicht durch digitale Formate ersetzt werden kann. Gespräche von Angesicht zu Angesicht sind für viele unverzichtbar.

Dr. Dirk Hamann, Geschäftsführer Akemi: „Die Messe wollte dass wir einen größeren Stand nehmen.“

Ein weiteres Problem: Zahlreiche Hersteller laden zeitgleich zu Hausmessen und Kunden-Events in Sassuolo ein und ziehen damit Besucher von Bologna ab. Dies sorgt für Unruhe, ist für manche Unternehmen aber eine kostengünstige und effektive Alternative zur Cersaie.

Partystimmung beim Kundenevent von Ariostea in Sassuolo.
Partystimmung beim Kundenevent von Ariostea in Sassuolo.

 

Wir haben in diesem Jahr deshalb einmal ein Kunden-Event der Iris-Gruppe in Sassuolo besucht um uns selber ein Bild von diesen Events zu machen – und dort viele zufriedene Kunden und Besucher erlebt. Da die Iris-Gruppe zugleich mit einem großen Stand in Bologna vertreten war, könnte dieses Modell zukunftsweisend sein: Präsenz auf der Leitmesse mit einem kleineren Stand plus ergänzende Hausveranstaltungen.

Tanja Pahlke Verkaufsleitung Deutschland und Österreich ICG Gruppe Marke Fiandre: „Nach meiner Auffassung würde eine Messe alle zwei Jahre ausreichen.“

Trends und Produkte: Nivellierte Vielfalt

Die Suche nach „dem großen Trend“ hat in Bologna deutlich an Bedeutung verloren. Früher war die Messe ein Taktgeber für Stilrichtungen in der Keramikbranche. Heute dominieren Naturimitationen und eine gewisse beige-graue Uniformität.

Dekorationen werden haptischer

Seit der Einführung digitaler Produktionstechnik kann jeder Hersteller fast jedes Design schnell umsetzen. Damit ist das Design allein weniger entscheidend geworden. Der Handel legt größeren Wert auf Komplettsortimente, Verlässlichkeit, Marke, einem Marketing mit Emotionen und der aufmerksamkeitsstarken Präsentation in den Ausstellungen.

Viele Hersteller haben ihr Marketing bereits darauf ausgerichtet – doch die Branche insgesamt hat hier noch Nachholbedarf.

Naturtöne sind in….

Nachhaltigkeit kein Randthema mehr

Nachhaltigkeit ist inzwischen auch in der Fliesenbranche kein Randthema mehr, sondern Grundvoraussetzung: Recyclinganteile, ressourcenschonende Produktion und emissionsarme Glasuren prägen viele Kollektionen.

Parallel setzen Hersteller auf extreme Gegensätze bei den Formaten – ultradünne Platten ab 2 mm für leichte Verarbeitung und Transport, aber auch monumentale Großformate, die Wände, Böden und Möbel nahtlos verkleiden.

Im Design dominieren weiter natürliche Anmutungen. Stein, Holz und Marmor werden so detailgetreu imitiert, dass sie selbst aus der Nähe kaum vom Original zu unterscheiden sind. Ergänzt wird dieser Trend durch mediterrane Einflüsse: Terrazzo, Majolika und Ziegelformate feiern ein modernes Comeback, häufig kombiniert mit digitalen Drucktechniken oder 3D-Strukturen. Reliefs, Wellen und haptische Oberflächen sorgen dafür, dass Fliesen nicht nur gesehen, sondern auch gefühlt werden.

Naturtöne von Sand bis Grau

Farblich setzen die Hersteller auf gedeckte Naturtöne von Sand bis Grau, dazu dezente Pastellakzente in Grün, Blau oder Lavendel. Glänzende Oberflächen treten in den Hintergrund, gefragt sind matte, samtige und leicht raue Finishes, die optisch warm wirken und im Alltag funktionaler sind. Neben der Optik rücken technische Innovationen in den Vordergrund: antibakterielle Beschichtungen, rutschhemmende Eigenschaften und selbstreinigende Oberflächen sollen den Mehrwert im Objekt- und Wohnbau unterstreichen.

Fazit: Die Cersaie lebt, verliert aber Strahlkraft

Die Fliesenmesse in Bologna bleibt trotz Kritik ein wichtiger Treffpunkt der Branche, verliert jedoch zunehmend an Strahlkraft. Steigende Kosten, organisatorische Probleme und der jährliche Rhythmus stellen das Konzept infrage. Viele deutsche Aussteller haben sich zurückgezogen, italienische Großunternehmen setzen mehr und mehr auf eigene Kunden-Events, die oft effizienter und kostengünstiger sind. Klar ist: Der persönliche Austausch bleibt unverzichtbar, doch die Messe muss sich stärker an den Bedürfnissen der Branche orientieren, um ihre Relevanz zu behalten.

Im nächsten Jahr findet die Cersaie übrigens eine Woche früher statt.

Unsere 28 Video-Interviews mit den Ausstellern der Cersaie zu deren Neuheiten finden Sie hier.

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