Italienische Fliesenwerke – wie kritisch ist die aktuelle Lage?

Confindustria sieht keine Insolvenzwelle für italienische Fliesenhersteller kommen

Italienische Fliesenwerke und die Folgen der Baukrise in Deutschland: Wie wirkt sich der Nachfrageeinbruch auf die exportorientierten Hersteller aus? Alexandra Becker, Italienkorrespondentin von 1200Grad, besuchte Confindustria Ceramica, den Industrieverband der italienischen Keramikhersteller und hatte einige Fragen im Gepäck.

Italienische Fliesenwerke und die Nachfragekrise: Der italienischen Keramikindustrie und damit aufgrund ihrer internationalen Bedeutung der Branche insgesamt den Puls fühlen- das war nicht zuletzt aufgrund der Turbulenzen nach den gehäuften Insolvenzerklärungen der deutschen Hersteller Ziel einer Redaktionsreise in das Herz der italienischen Keramikindustrie in Sassuolo.

Nachfrageeinbruch in Deutschland

Der deutsche Fliesenmarkt leidet unter den Folgen der schwersten Baukrise der Nachkriegszeit, so wurde sie von Marktteilnehmern definiert. Die Nachfrage nach keramischen Belägen ist in Deutschland in der ersten Jahreshälfte des Jahres 2023 in Deutschland in einem dramatischen und so nicht erwarteten Ausmaß eingebrochen.

Nach den zum Teil preisgetriebenen Rekordumsätzen von 2022 und aufgrund des noch hohen Lagerbestands im Handel nach „Hamsterkäufen“ im Vorjahr war ein Nachfragerückgang zwar vorhergesehen worden. Explodierende Baukosten und die steigenden Zinsen hatten bereits ihre Schatten vorausgeworfen.

1200Grad fragte Confindustria Ceramica, wie sich der Einbruch des deutschen Fliesenmarkts als einer der wichtigsten Absatzmärkte für die exportorientierte italienische Fliesenindustrie auswirkt.

Confindustria Ceramica Foto: Alexandra Becker

Keine Insolvenzwelle für italienische Fliesenwerke

Confindustria Ceramica sieht aktuell keine Anzeichen für bevorstehende Insolvenzen. Eine Verlangsamung der Nachfrage sei zwar zu verzeichnen. Entscheidend sei aber, wie das Thema der Energiekosten gesteuert wurde, bzw. wie die Energiekosten für die europäischen Unternehmen regulatorisch gehandhabt wurden und werden. Denn das eigentliche Problem waren die teuren Energiepreise und die Spekulationen auf dem Energiemarkt, heißt es von Seiten des Verbandes.

Die italienischen Unternehmen konnten sich laut Confindustria etwas besser gegen den Anstieg der Energiekosten verteidigen als einige der europäischen Mitbewerber. Das lag, so Confindustria Ceramica, auch an den Maßnahmen, die die italienische Regierung veranlasst habe. Diese konnten den starken Preisanstieg etwas abfedern.

Kostensystem explodiert

Das gesamte Kostensystem sei aufgrund mehrerer Faktoren in Europa explodiert, unter anderem eben durch Energiekosten, Rohstoffmangel, Zinserhöhungen, Ukraine-Krieg… Als Beispiel wurde die Seefracht genannt. Die Containerfracht von Italien in die USA war von  2.000 € pro Container auf 12.000 € angesprungen, ist derzeit aber wieder gesunken.

Anteilsmäßig sei bei den italienischen Fliesenwerken als weltweite Marktführer in der Produktion von keramischen Belägen ein Aufschlag von 2,00 € auf den höheren Preis im Premiumbereich weniger ins Gewicht gefallen als bei den Herstellern anderer Länder. Der Markt sei eher dazu bereit gewesen, die Preiserhöhung bei der Marktelite zu akzeptieren als bei den Herstellern im Niedrigpreissegment.

Die aktuellen Schwierigkeiten aufgrund der Verlangsamung der Nachfrage könnten jetzt einen günstigen Zeitpunkt für Investitionen bieten,  zum Beispiel, um die Energieeffizienz zu verbessern. Denn jetzt sei es möglich, eine Produktionslinie anzuhalten, um die entsprechenden Arbeiten durchzuführen.

Jahresendspurt auf der Cersaie

Die Cersaie steht vor der Tür und läutet den Jahresendspurt im letzten Quartal ein. Welche Erwartungen hat Confindustria Ceramica an die Messe?

Nach Auskunft der Messeorganisation und Confindustria Ceramica sei die Reaktion von Ausstellerseite positiv, denn alle Unternehmen, die sich für die Cersaie angemeldet haben, haben bestätigt.

Wie im Vorjahr sind 15 Messehallen belegt, wobei die Ausstellungsfläche von 140.000 Quadratmetern auf 145.000 angestiegen ist. 38% der 624 angemeldeten Aussteller kommen aus dem Ausland. Die Cersaie sei bereits seit drei Monaten ausverkauft.

Tipps für Ihren Messebesuch.

Route 40: 4 Jahrzehnte Keramik als Protagonist ihrer Zeit

Anlässlich des 40jährigen Messejubiläums wurden die Unternehmen gebeten, von ihren ikonischen Spitzenprodukten der letzten 40 Jahre zu erzählen. Dabei wurden 800 Top-Produkte gesammelt.

Während der Cersaie wird die Ausstellung Route 40 die Spitzenleistungen der Keramikbranche der letzten vierzig Jahre abbilden. Das Thema ist die Keramik als Protagonist ihrer Zeit, wie zum Beispiel die schwarze Keramikplatte von Ceramica Lea, die in Mailand für den vertikalen Wald eingesetzt wurde. Ein weiteres Beispiel sind die Kooperationen mit den Modemarken in den 80er Jahren.

Die Route 40 schlängelt sich von ihrem Ausgangspunkt im Quadriportico durch die Galerien 21-22. 25-26 und die Galerie des Pavillons 37. Dabei werden vier Jahrzehnte und ihre einschneidenden Veränderungen in den Bereichen Kultur, Soziales, Design und Produktion mit einem Blick durch die „Fliesenbrille“ erzählt.

Welche Neuheiten gibt es dieses Jahr?

Die Keramik erobert weitere neue Anwendungsbereiche und kommt längst nicht mehr nur im Bauwesen zum Einsatz, sondern auch bei großen Infrastrukturprojekten. Neue Akteure sind in der Welt der Keramik aufgetaucht und gestalten Oberflächen für Möbel, Möbeltüren, Inneneinrichtung, Abdeckungen im Bad und Küchenarbeitsplatten, Kreuzfahrtschiffe, Garten- und Landschaftsbau und mehr.

Weitere Einschätzungen zur aktuellen Lage der italienischen Fliesenwerken finden Sie hier in Interviews mit der Geschäftsführung von Verde 1999, Sichenia und dem Präsidenten der Romani Gruppe, Giorgio Romani von der 1200Grad-Redaktionsreise.

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