In Deutschland kursiert derzeit ein Schreiben der Firma Schenker, das über einer dramatischen Situation auf dem europäischen Frachtmarkt informiert. Darin heißt es:
„Die Situation auf dem deutschen, aber auch europäischen Ladungsmarkt hat sich in den letzten 4 Monaten extrem zugespitzt. Neben den eigenen Verkehren und fest angemieteten Chartern stellt sich am Spot-Markt die Situation dramatisch dar.
Derzeit beträgt das Verhältnis zwischen vorhandener Fracht und verfügbarem Laderaum nur noch 88 zu 12, das heißt, für 88 Ihrer Ladungen stehen 12 Lkw zur Verfügung. Es gibt also momentan kaum noch Laderaum bzw. verfügbare Fahrzeuge, um Ihre vorhandenen Frachtsendungen zu transportieren.
Die zentralen Gründe hierfür sind:
– Ein für die Jahreszeit untypisch hohes Gesamtfrachtaufkommen - Neue gesetzliche Regelungen zu Arbeits- und Ruhezeiten der Berufskraftfahrer seit dem25. Mai 2017. Daraus resultierend ein stark ansteigender Fahrer- und somit Fahrzeugmangel.
Diese Auswirkungen der vorgenannten Gründe waren in dieser Dimension nicht vorhersehbar. Saisonale Schwankungen, wie wir sie aus der Vergangenheit kennen, scheinen sich deutlich zu verändern. Es muss leider davon ausgegangen werden, dass die momentan zu beobachtende Marktsituation sich in naher Zukunft weiter verstärken wird. Eine Veränderung dieser Entwicklung ist nicht in Sicht.
Nicht nur Sie als Kunden, sondern auch wir als Ihr Transport- und Logistikpartner bekommen die direkten Konsequenzen dieser außergewöhnlichen Situation direkt zu spüren, da es zwangsläufig zu unmittelbaren Beeinträchtigungen in der Transportkette kommen kann.
Bitte seien Sie versichert, dass wir alles daran setzen, diese Beeinträchtigungen für Sie so gering wie möglich zu halten und an Lösungen arbeiten. Wir bitten Sie um Ihr partnerschaftliches Verständnis und Ihre Kooperationsbereitschaft in dem gemeinsamen Bestreben, die Situation schnellstmöglich zu normalisieren.“
Bundeswehr-Führerscheine werden nicht mehr anerkannt
Wir haben daraufhin die Firma Schenker kontaktiert und Sie gebeten uns mitzuteilen, wann mit einer Entspannung der Situation zu rechnen sei und welche Maßnahmen ergriffen werden, um die Auswirkungen abzufedern. Wie uns ein Sprecher der DB Schenker daraufhin mitteilte, besteht „einer der Hauptgründe für die aktuellen Lieferengpässe im Mangel an Fahrern aus den genannten Gründen (gesetzliche Regelung wie Berufskraftfahrerqualifikationsgesetz, Mindestlohngesetz, Ruhezeiten). DB Schenker arbeitet daran, über eine noch höherer Wertschätzung und Unterstützung der Fahrer bei der täglichen Arbeit eine stärkere Bindung an das Unternehmen zu bewirken und so auf die Situation am Markt positiv Einfluss zu nehmen.“
Hintergrund ist wohl u.a. die Tatsache, dass durch den Wegfall der Möglichkeiten bei der Bundeswehr seinen Führerschein zu erwerben und diesen für den Berufseinsatz umzuschreiben, hier eine zusätzliche Lücke an Fahrern entstanden sei. Offensichtlich ist der Erwerb in der freien Wirtschaft mit hohen Kosten verbunden, den sich immer weniger leisten können. Zudem müssen die Fahrer inzwischen alle fünf Jahre weiterbilden, was einige zeitlich nicht können oder finanziell nicht wollen.
Auch bei den Marktteilnehmern der Fliesen- und Zubehörbranche haben wir uns umgehört. Und wie es scheint, sind die Auswirkungen wirklich dramatisch. So erhielten wir von Jürgen Patz von der Firma Enmon, die mit zahlreichen Herstellern in Spanien und Italien eng zusammenarbeitet, folgendes Statement:
„Viele unserer Kunden laden Waren bei uns in Bremen, aber auch erfreulicherweise in unserem neuen Lager in Italien. Aufgrund der verknappten Ladungsmöglichkeit bleiben immer wieder dringend benötigte Mengen stehen und werden erst später verladen. Das führt wiederum beim Abnehmer (Handel , Verarbeiter und letztlich Endverbraucher) für großen Unmut.
Wir schätzen uns froh, dass wir mit Terratrans einen großen Transporteur an unsere Seite haben, der vieles versucht um unser Frachtaufkommen zu bewältigen. Aber auch hier klappt verständlicherweise nicht mehr alles so, wie geplant.“
Dr. Uwe Gruber, Geschäftsführer der Mapei Deutschland GmbH, bestätigte auf Nachfrage der Redaktion 1200Grad im Rahmen der jährlichen Pressekonferenz ebenfalls die Situation. „Das ist wirklich ein Problem, das wir in der täglichen Arbeit spüren. Das betrifft nicht nur anspruchsvolle „just-in-Time“ Lieferungen an die Baustelle, sondern hängt auch mit dem Mangel an qualifizierten Fahrern zusammen,“ so Dr. Gruber.
Auch einige Händler, die wir kontaktierten, berichteten von Problemen bei der Logistik. Manchmal helfe ein Wechsel auf ein anderes Speditionsunternehmen, um Engpässe zu überbrücken. Doch in vielen Fällen ließen sich Lieferengpässe dennoch nicht vermeiden. Die Situation sei insgesamt „angespannt“, so ein Händler aus Norddeutschland.
Hersteller in Italien (noch) gelassen
In Italien scheint man hingegen die Situation mit südländischer Gelassenheit zu beurteilen. Hier ein paar Stimmen, die unsere Korrespondentin Alexandra Becker bei einigen italienischen Werken gesammelt hat:
Paolo Fabbian – Quality Manager bei Fila Industria Chimica SpA:
„Wir haben keine besonderen Vorkommnisse oder Engpässe bemerkt oder Informationen darüber erhalten. Unsere Logistik ist nicht davon betroffen, vielleicht da wir unsere Ware nicht über Komplettlieferungen bewegen, sondern über ein komplexeres Logistiksystem.“
Paolo Fiorini – Sales Manager für Schweiz, Österreich, Niederlande, Tschechische Republik und Slowakei bei Florim Ceramiche S.p.a.:
“Von unseren Kunden, z.B. aus der Schweiz, haben wir bisher keine Information über eine besondere Situation erhalten. Die meisten unserer Kunden arbeiten mit Spediteuren aus dem eigenen Land oder mit eigenen LKWs. Dadurch verkürzt sich die Logistikkette entsprechend. Die geschilderte Situation betrifft vielleicht eher Komplettlieferungen und Branchen und Produkte im niedrigen Preissegment.“
Marco Minghetti – Sales Manager Central Europe, Cedir S.p.A.:
„Bisher ist es uns nichts von einem besonderen Engpass auf dem europäischen Logistikmarkt bekannt. In Italien haben die italienischen LKW-Fahrer am 30. und 31.10.2017 gestreikt. Aber bis jetzt haben wir keine Meldungen über außergewöhnlichen Situation erhalten – vermutlich haben sich dabei die Feiertage in Deutschland günstig ausgewirkt.“
In mehreren Gesprächen, die 1200Grad mit italienischen Herstellern aus der Keramikbranche geführt hat, vermuteten unsere Gesprächspartner, dass der Preiskampf im Transportwesen vor allem die Logistik von Produkten betreffen könnte, die Massenware zu niedrigen Preisen bewegt. Die hier erzielten niedrigen Preise spiegeln sich entsprechend bei den Arbeitsbedingungen Mitarbeiter der Branche wieder. Nachdem die Tarifverhandlungen im italienischen Transportwesen nach monatelangen Verhandlungen gescheitert waren, hatten mehrere Gewerkschaften für den 27., 30. und 31.10.2017 zu einem italienweiten Streik aufgerufen.
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