Das deutsche Messewesen: Zwischen digital und überflüssig

Ein Kommentar von Gerhard Köhler

Nun wurde auch sie geopfert auf dem Altar von Corona Civd-19, der Schrecklichen: die BAU 2021 in München, dem Hochamt der gesamten Baubranche nicht nur in Deutschland, sondern in der Welt, denn schließlich nennt der Veranstalter, die Münchner Messegesellschaft, sie ja auch Weltleitmesse. Insofern teilt die BAU dieses Schicksal mit der 2. Weltleitmesse auf deutschem Boden, wenngleich in einem ganz anderen Umfeld. Die ISH 2021 wollte im März 2021 auf dem Frankfurter Messegelände eigentlich Präsenz zeigen von allen Herstellern der Branchen Sanitär, Heizung, Lüftung und Klima. Auch sie gehört wie die BAU in München zu ganz Großen der bundesdeutschen Messelandschaft. Doch die Messehallen werden in beiden Fällen leer bleiben. Dafür sollen die digitalen Datenkanäle glühen, denn beide Veranstaltungen werden ausschließlich digital stattfinden.

Dabei waren die Frankfurter mutiger als die Münchener, denn sie haben bereits im Sommer, als die 2. Corona-Welle noch als Schreckgespenst gehandelt wurde, die Reißleine gezogen. Da wurde in München noch abgewartet und erst Ende September eine Entscheidung getroffen, eine halbherzige zudem. Denn man wollte auf keinen Fall alle Hallen leer stehen lassen und dem einen oder anderen Präsenz besessenen Hersteller diese Möglichkeit bieten. Neben digitalen Angeboten, versteht sich. „Hybrid“ nennt man das, von beiden etwas, manche sagen auch „nichts Halbes und nichts Ganzes“. Das scheinen wohl auch die meisten potenziellen Aussteller so gesehen haben, weswegen die BAU-Veranstalter flugs zurückruderten und jetzt doch was „Ganzes“ (nämlich nur Digitales) machen wollen. Also jetzt ISH und BAU auf gleichem Level.  Immerhin hofft man, auch in digitaler Form alle bisherigen Aussteller ins digitale Portal locken zu können (ISH 2019: 2 532 Aussteller, BAU 2019: 2 250 Aussteller).

Egal wie: Digitale Messerundgänge dürften gewöhnungsbedürftig sein. Vieles von dem, was auf „analogen“ Rundgängen rein zufällig entdeckt wurde und Interesse geweckt hat (zufällige Bekanntschaften inklusive), könnte uns jetzt durch die Lappen gehen. Deshalb bin ich wie Dr. Thomas Welter, Bundesgeschäftsführer Bund Deutscher Architekten BDA, der Meinung, Präsenzmessen wie die BAU und die ISH sind trotz allem Aufwand unverzichtbar. Trotzdem müssen wir an dieser Stelle unbedingt über all die vielen anderen Messeveranstaltungen reden, die die bundesdeutsche Messelandschaft mehr oder weniger sinnvoll bevölkern. Zugegeben, es gibt durchaus eine ganze Reihe von Messen, die Sinn machen, also jene für spezielle Themenbereiche, wofür auf Pauschalmessen weder Platz noch Publikum ist.

Aber was ist mit der Vielzahl von Regionalmessen? Die Sanitärbranche hat hier Maßstäbe gesetzt, wenngleich zumeist wenig glanzvolle. Sie (und viele andere auch) waren mehr oder weniger Selbstzweck, zum einen für die Messegesellschaft, die ihre oft städtisch subventionierten üppigen Messehallen auslasten mussten und somit auf Gewinn programmiert sind. Oft genug auch getrieben von Verbänden oder Innungen, die sich am Futtertrog des Gewinns breit machen wollten. Vor allem dann, wenn Letztere beteiligt sind, waren viele Hersteller gegen besseres Wissen einer Beteiligung als Verbeugung vor ihren Kunden nicht abgeneigt. Das betrifft übrigens auch jene scheinbar unzähligen (ebenfalls kostenintensiven) Händlerausstellungen, zu denen bekanntermaßen viele nur Zähne knirschend zusagen.

Ob hier wohl die Corona-Pandemie regulierend eingreifen könnte? Habe ich zumindest gedacht und dann erstaunt festgestellt, dass auch all die Messen, die kein Mensch braucht (außer die Messegesellschaften), nicht abgesagt, sondern nur verschoben wurden. Aber vielleicht macht ja das Beispiel von Michael Kleber, Geschäftsführer des Sanitärherstellers Emco Bad, Schule, der schon lange bevor Corona das Messewesen lahm legte, seine Absage an der einstmals hoch gelobten regionalen Sanitärmesse SHK Essen als langjährige Teilnehmer mit sinkendem Besucherinteresse begründete. Zitat: „Wir würden uns von den Messeveranstaltern mehr Initiative wünschen …“ Nur eine „erfolgreiche Neuausrichtung“ könne wieder zu mehr Attraktivität führen. Ob er wohl damit meinte, Messeveranstalter müssten mehr tun als nur Ausstellungsfläche zu vermarkten?

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