„Es war eine dramatische Situation“
Interview mit Dieter Schäfer zu BAU, zur Lage der deutschen Fliesenindustrie und seiner Zukunft
Dieter Schäfer ist Vorsitzender des Ausstellerbeirats der BAU und Vorstand der Deutsche Steinzeug Cremer & Breuer AG. Insofern hat er eine klare Meinung zum Status der kommenden BAU in München und ebenso eine deutliche Meinung zur Position der deutschen Fliesenindustrie. Im Gespräch mit 1200Grad äußert sich Schäfer zudem auch zu seiner persönlichen Zukunft.
Herr Schäfer: Als Vorsitzender des Ausstellerbeirats der BAU sind Sie sicher froh, dass die BAU in diesem Jahr wieder als Live-Event stattfinden kann. Dennoch wird die Messe in der Branche nicht unkritisch gesehen. Einige große Marken, wie z.B. PCI, haben die BAU dieses Mal aus ihrem Messe-Kalender gestrichen und setzen auf andere Marketingmaßnahmen. Sind große Messen nach Corona nicht mehr zeitgemäß?
Als langjähriger Vorsitzender des Austellerbeirats bin ich hier natürlich nicht ganz neutral, kann Ihnen aber eine eindeutige Antwort geben. Eine Messe, die über alle 18 Hallen komplett ausgebucht ist, muss man bereits im Vorfeld äußerst positiv bewerten. Wenn sich nahezu 1400 Aussteller aus den unterschiedlichsten Gewerken anmelden und massiv in die Produktpräsentation investieren ist dies eine kraftvolle Bestätigung für die Notwendigkeit einer Präsenzmesse.
Eine Messe, die über alle 18 Hallen komplett ausgebucht ist, muss man bereits im Vorfeld äußerst positiv bewerten.
Dass PCI nicht auf der Messe ausstellt ist ausschließlich der Tatsache geschuldet, dass sich das Unternehmen mitten in einem Gesellschafterwechsel befindet und, wie Sie wissen, bis jetzt mit einem Schweizer Konzern in Übernahmeverhandlungen ist. Insoweit wollte man in dieser Phase der Neuorientierung auf den Auftritt bei der BAU verzichten. Da die neue Muttergesellschaft auf der BAU 2023 vertreten ist, gehen wir mit absoluter Sicherheit davon aus, dass PCI bei der nächsten Messe wieder Partner der BAU sein wird.
Ich glaube aber in der Tat auch, dass das Instrument Messe einen Wandel erlebt hat bzw. noch weiter vollziehen wird. Meine persönliche Meinung ist, dass reine Messen, die sich auf einen Produktbereich konzentrieren (z.B. Automobil-, Sportartikelmessen etc.) mehr und mehr vom schnelllebigen Internet verdrängt werden. Die alle zwei Jahre stattfindende Weltleitmesse BAU ist dagegen eine Drehscheibe für Bau-Know-how. Hier werden Gewerke übergreifend alle wichtigen Produkte und Lösungen für Architekten, Planer, Ingenieure, Handwerker und viele mehr gezeigt. Innerhalb weniger Tage erhält die Baubranche über alle relevanten Neuheiten und Innovationen für den Bausektor .
Mein Eindruck ist schon lange, dass sich z.B. Architekten aus zeitlichen Gründen nicht wegen ein, zwei Gewerken auf eine Messe begeben. Anders sieht das bei der umfassenden Vielfalt sämtlicher Gewerke aus, die ein Architekt auf der BAU antrifft. Für die Zukunft genau die richtige und zeitgemäße Darstellung, das werden die Besucherzahlen auch in diesem Jahr wieder zeigen.
Viele Hersteller und Besucher kritisieren den späten Termin im April. Wäre eine BAU im Januar erfolgreicher gewesen?
Fangen wir mit dem Positiven an. Die nächste BAU 2025 wird wieder im Januar stattfinden. Wir haben in diesem Jahr den Termin bewusst auf den April gelegt. Aus folgenden Gründen:
Vor zwei Jahren musste die BAU Corona bedingt aussetzen. Wir haben alle mitbekommen, dass Corona nach wie vor – China beweist das derzeitig – noch nicht komplett besiegt ist. Daher haben wir uns entschieden, aus der schwierigen Witterungsperiode Januar (verstärkte Corona-/Grippebelastung) in das Frühjahr zu gehen und die BAU einmalig im April 2023 stattfinden zu lassen. Im Januar wäre unserer Meinung nach die Gefahr zu groß gewesen, dass die BAU aufgrund von Corona wieder abgesagt hätte werden müssen. Dann wäre die BAU (als Präsenzmesse) für sechs Jahre ausgefallen. Dies wäre für eine internationale Messe nicht tragbar.
Die nächste BAU 2025 wird wieder im Januar stattfinden.
Mit V& B, Ströher und Agrob Buchtal sind gleich drei deutsche Fliesen-Hersteller in München vertreten. Allerdings zeigen die Keramik-Unternehmen aus Italien und Spanien der BAU nach wie vor die kalte Schulter, obwohl sich die BAU rühmt, viele Architekten anzuziehen.
Hier muss ich Sie korrigieren. Erfreulicherweise nimmt auch Steuler an der Messe teil, so dass wir jetzt aus Deutschland mit vier Fachbeiratsunternehmen vertreten sind. Ich habe Verständnis für die Italiener und Spanier, dass sie nicht zur BAU kommen. Die BAU ist doch schwerpunktmäßig auf die gesamten Baugewerke ausgerichtet und spricht damit Zielgruppen an, die man in diesem Umfang auf der Cersaie oder in Spanien nicht erwarten kann. Da aber die Keramik in Italien und Spanien einen völlig anderen Produktions- und Fertigungsumfang hat, konzentrieren sich unsere südeuropäischen Wettbewerber auf die im Jahresrhythmus stattfindende Heimmesse.
Ich habe Verständnis für die Italiener und Spanier, dass sie nicht zur BAU kommen.
Sie haben vor kurzem in einem Interview mit der Zeitschrift Capital gesagt, dass Sie zwischendurch, angesichts der aktuellen Situation, wirklich am Verzweifeln waren und dass ein sehr, sehr schwieriges Jahr zu Ende geht. Dramatische Wort für eine dramatische Situation?
Jawohl, es war eine dramatische Situation. Sie dürfen bitte nicht vergessen, dass Corona bereits seit 2020 grassiert, dann ereilte uns im Sommer 2021 die Flutkatastrophe, was unsere Fertigung in Sinzig wochenlang massiv beeinträchtigt hat, vor allem aber viele unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Werken Witterschlick und Sinzig betraf. Nachdem wir glaubten, diese Situation bewältigt zu haben, kam der Ukraine-Krieg und gipfelte in der Energiekrise, die uns bis heute mehr als uns lieb ist beschäftigt.
Sie mussten mehrere Preiserhöhungen durchführen, ihre Werke haben über Jahreswende sogar stillgestanden und Sie mussten Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken?
Ja, wir mussten mehrere Preiserhöhungen durchsetzen. Wobei unser Weg, des separat ausgewiesenen Energiekostenzuschlags bei der wesentlichen Preiserhöhung, ein sehr dornenreicher war. Sowohl unseren Kunden, als auch unseren umsatzabhängigen Außendienstmitarbeiterinnen und/-mitarbeitern mussten wir erklären, dass diese Preissteigerung nur den wirklichen zusätzlichen Energieaufwand abdeckt und insoweit weder bonus- noch provisionsrelevant eingepreist wurde. Dies war nicht einfach durchzusetzen, ist aber am Ende der für uns richtige Weg gewesen.
Wir haben in der Tat in Teilen unserer Werke selektiv Kurzarbeit gefahren. Ursache hierfür ist die Tatsache, dass wir aufgrund des extremen Energiekostenanstiegs einige Serien des unteren Preisbereiches nicht mehr kostendeckend hätten vermarkten können. Eine Entscheidung, dann lieber nicht zu produzieren ist sinnvoller als negative Deckungsbeiträge zu erwirtschaften.
Eine Entscheidung, dann lieber nicht zu produzieren ist sinnvoller als negative Deckungsbeiträge zu erwirtschaften.
Für die deutsche Keramikindustrie geht es wegen der hohen Energiepreise um ihre Existenz. Sie haben sich deshalb auch an diverse Politiker gewandt, aber wohl nur wenig bis keine Resonanz erhalten.
Wir haben uns auch deshalb an die Politik gewandt, weil wir noch zu Beginn des Jahres 2022 davon ausgegangen sind, dass Europa bei der Energie eine einheitliche Preispolitik fährt. Sie haben selber mitbekommen, dass unsere italienischen und spanischen Freunde massive staatliche Hilfen erhalten (Italien 40% Rückvergütung auf Gas und Strom im letzten Quartal 2022 und 45% im ersten Quartal 2023. Preisdeckelung und Reduzierung in Spanien und Frankreich). Wir in Deutschland erhalten – trotz massiver Nachfrage – keinerlei Unterstützung.
In der Tat erhielten wir auf unsere Ansprache so gut wie keine Resonanz. Dies spiegelt deutlich den Stellenwert wider, den die Keramik und ein Großteil der mittelständischen Industrie in Deutschland bei den politischen Entscheidungen hat.
Wir in Deutschland erhalten – trotz massiver Nachfrage – keinerlei Unterstützung.
Corona-Pandemie – Ukraine Krieg – Energiekrise: Die vergangenen Jahre haben den Fliesen-Unternehmen viel abverlangt. Und was die Zukunft noch bringt, bleibt offen. Wird es in 10 Jahren überhaupt noch deutsche Fliesenwerke geben?
Die Frage über die Zukunft der deutschen Fliesenindustrie ist sicherlich gerechtfertigt, zumal wir bereits in den letzten 12 Monaten Insolvenzen und Verlagerungen der Produktion ins Ausland feststellen mussten. Daher wäre es vermessen zu sagen – „natürlich gibt es auch in 10 Jahren noch ausreichend Fliesenwerke in Deutschland“. Ich glaube jedoch, was unser Unternehmen angeht, dass wir in der Lage sind – aufgrund unserer Produktphilosophie und eines Exportanteils, der mittlerweile schon 45% beträgt – eine Chance haben zu überleben. Wir müssen nur weiter konsequent den Architekten, Ingenieuren, Planern, Generalunternehmern und Großhändlern, die unsere Objektorientierung verstehen, die richtige Produktpalette zur Verfügung stellen. Denjenigen, die unsere Produkte einsetzen möchten, müssen wir zu verstehen geben, dass wir der „keramische Problemlöser“ sind und anwendungstechnisch ein immenses Spektrum mit unserer Keramik abdecken können. Getreu dem Motto „wir können alles, nur nicht billig“.
Die Frage über die Zukunft der deutschen Fliesenindustrie ist sicherlich gerechtfertigt…
Gibt es angesichts der Subventionen der Fliesenwerke im Ausland sowie der unterschiedlichen Lohnniveaus und Umweltauflagen überhaupt noch einen fairen Wettbewerb im Fliesen-Sektor?
Eindeutig NEIN. Dies ist aber sicherlich der Tatsache geschuldet, dass die Keramik in Südeuropa in der Gesamtvolkswirtschaft einen völlig anderen Stellenwert hat. Hätten wir in Deutschland einen ähnlichen Stellenwert wie die Automobilindustrie, sähe die Unterstützung durch den Staat mit Sicherheit für uns auch völlig anders aus.
Herr Schäfer: Sie können auf eine beeindruckende berufliche Bilanz zurückblicken. Sie leiten das Unternehmen seit 37 Jahren. Allerdings sind sie inzwischen auch schon 74 Jahre und viele Brancheninsider fragen sich, wie lange Sie das – auch angesichts der schwierigen aktuellen Situation – noch machen wollen?
Die Frage höre ich immer wieder, ist absolut berechtigt und will ich auch Ihnen sehr gerne beantworten:
Im Rahmen der Neustrukturierung der DSCB AG hatten die Familienaktionäre Ihre Mehrheit an ein Bankenkonsortium veräußert.
Ziel war es, im Laufe eines M&A-Prozesses dieses Aktienpaket an einen strategischen Investor zu übertragen. Unsere komplexe Fertigungs- und Produktstruktur war und ist jedoch unverändert nicht förderlich für eine Partnersuche. Um schlussendlich zu vermeiden, dass die Banken das Aktienpaket an einen reinen Finanzinvestor veräußern, habe ich die Aktienmehrheit von knapp 57% erworben. Dies natürlich verbunden mit der Hoffnung, den M&A-Prozess wieder neu aufzusetzen und mit einem passenden Strategen abzuschließen.
Unsere komplexe Fertigungs- und Produktstruktur war und ist jedoch unverändert nicht förderlich für eine Partnersuche.
Wir haben dann erneut Vorbereitungen für einen M&A-Prozess gestartet. Die allseits bekannte Problematik – mit Corona, Flutkatastrophe im Ahrtal und im Rhein-Sieg Kreis, erneute Corona-Welle, Ukraine-Krieg und dem damit verbundenen extremen Anstieg der Energiekosten – trafen uns alle sicherlich unvorbereitet. In dieser Situation war es weder möglich die Aktienmehrheit seriös zu platzieren, noch für die AG eine Nachfolge im Vorstand zu finden.
Meine Hoffnung: Da wir zwar einerseits aufgrund unserer starken Objektorientierung höhere Produktionskosten generieren, andererseits aber mit dem speziellen Produktportfolio deutlich bessere Vermarktungsmöglichkeiten und eine höhere Exportquote realisieren können, sollte uns der Prozess des Aktionärswechsels hoffentlich in den nächsten 12-18 Monaten gelingen.
Bis dies feststeht, sollte man mir die Chance geben, dass Unternehmen in guten Händen wissend verlassen zu können.