Cersaie 2024: Alles wie immer, nur anders
Die Messe in Bologna ist keine Order- und Trendmesse mehr
Taxistreik, Ausstand am Flughafen, rückläufige Bauzahlen in ganz Europa – der italienische Herstellerverband Confindustria Ceramica hatte sich das Umfeld für die Cersaie Messe im Jahre des 60-jährigen Bestehen des Verbandes bestimmt anders vorgestellt.
Der erste Messetag hakte etwas. Wenn in Bologna keine Taxis fahren, ist das ungefähr so als wenn in Venedig die Gondeln im Hafen bleiben. Nach subjektiven Empfinden war der Montag etwas ruhiger, was sich aber auch von Messehalle zu Messehalle unterschiedlich darstellte. Anscheinend kamen die Montagsbesucher dann am Dienstag, denn nach Auskunft der Messeleitung war der Dienstag einer der Besucher stärksten Tage, den die Cersaie jemals erlebt hat.
Doch die Besucherzahlen sind noch lange kein Gradmesser dafür, wie gut eine Messe ist oder wie schlecht es einer Branche geht. Auch bei der letzten Cersaie waren die wirtschaftlichen Vorzeichen und die Gesamtsituation der Fliesenbranche schon nicht rosig. Und trotzdem war die Cersaie 2023 eine gute Messe mit positiver Stimmung.
Ob man für die Cersaie 2024 ein ähnliches Resümee ziehen kann, ist fraglich. Inzwischen sind viele Branchenexperten doch sehr pessimistisch geworden. Kein Wunder, die schlechten Zahlen der Bauwirtschaft in ganz Europa und die Produktionsrückgänge und Umsatzeinbrüche in der Industrie machen nervös. Positive Ausstellerstimmen empfanden wir in diesem Jahr eher als Zweckoptimismus. Man kann schließlich nicht mit einem teuren Messestand nach Bologna reisen, um den Kunden dann die Ohren voll zu jammern.
Eine Branche im “stand by” Modus
Die Fliesenbranche scheint ein wenig im „stand by“ Modus zu sein. Unternehmen, die es sich leisten können, investieren in die Produktion und Ausstellungen, um beim hoffentlich bald kommenden Aufschwung gerüstet zu sein. Allerdings werden nicht alle Firmen finanziell den langen Atem haben, um die derzeitige Durststrecke schadlos zu überstehen. Siehe deutsche Fliesenindustrie.
Eine weitere Konsolidierung auf Industrieseite wird unumgänglich sein. Es braucht keine 300 Fliesenwerke in Europa. Das ist zwar schade für viele traditionellen Marken und natürlich für die Belegschaft, aber es ist die Wahrheit der kommerziellen Marktwirtschaft. Wer sich allein die Liste der ehemals deutschen Hersteller anschaut, die vormals in Bologna vertreten waren, weiß wohin die Reise auch für die europäische Fliesenindustrie gehen wird.
Die Lücken in den Hallen versuchte die Messegesellschaft geschickt mit Umstrukturierungen zu kaschieren. In der Pressekonferenz lobte man zudem den hohen Anteil ausländischer Besucher, vor allem aus Indien und Afrika. Wobei die vielen indischen Besucher der Branche eigentlich ein Warnzeichen sein sollten, denn die Inder sind die neuen Chinesen. Sie fluten den Markt mit Billigimporten, die man bei den Chinesen noch einigermaßen mit Strafzöllen in Grenzen hält. Den Italienern, aber auch den Spaniern, ist das ein Dorn im Auge: massive Strafzölle auf indische Fliesen-Importe dürften nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Apropos Pressekonferenz: Dass die Branche den Gürtel enger schnallen muss, ließ sich auch an der diesjährigen Pressekonferenz von Verband und Messe ablesen. Während die Veranstaltung in den Vorjahren in spektakulären Locations, wie alten Stadt-Palästen in Bolognas Innenstadt stattfand, und dessen Höhepunkt die Verleihung der Händlerpreise war, kochte man in diesem Jahr auf Sparflamme. Die Pressekonferenz fand im Ausgangs-Areal der Messe statt und nach unserer Ansicht waren zudem deutlich weniger Journalisten vor Ort, als in den Vorjahren. Der Messepreis wurde schon im Vorfeld vergeben, auf eine Übergabe im Rahmen der Pressekonferenz wurde ganz verzichtete. Dass die Italiener bei der Pressekonferenz so gut wie keine Zahlen zur aktuellen Marktsituation präsentierten, war zudem für viele Besucher ein Indiz dafür, dass die Zahlen wohl wenig erfreulich sind.
Deutscher Markt macht Sorgen
Dabei macht den Italienern vor allem der deutsche Markt besonders große Sorgen. Deutschland galt Jahrzehnte lang als eines der Zugpferde im Exportgeschäft. Nun strauchelt der Riese. Eine Delegation der AG Fliesen war in diesem Jahr zum ersten Mal während der Cersaie bei der Confindustria Ceramica zu Gast,, um den italienischen Kollegen ein wenig die Hintergründe und speziellen Probleme des deutschen Marktes zu erläutern.
Die Cersaie selbst hat sich ebenso wie die Branche stark verändert. Sie ist keine echte Ordermesse mehr. Bestellzettel werden nur noch selten in Bologna ausgefüllt. Dies passiert erst später in den Produktausschüssen des Handels. Oder in den Werken der Hersteller. Auch in diesem Jahr lockten wieder einige Branchengrößen die Kunden mit eigenem Shuttle-Services und pompösen Neuheiten-Präsentationen nach Sassuolo. Dass diese Entwicklung eine große Gefahr für Zukunft der Cersaie ist, hatten wir schon im vergangenen Jahr kritisiert. Mit einem ähnlichen Problem kämpft übrigens ebenso die Cevisama in Valencia.
Eine Trendmesse ist die Cersaie auch nicht mehr. Während Besucher und Presse bei früheren Veranstaltungen immer auf der Suche nach dem goldenen Gral der Trends war, suchte man schon seit einigen Jahren vergeblich nach spektakulären Designideen oder Farbtrends. Die ausgereifte Inkjettechnik macht die Produkte in den Bereichen Dekoration, Farben, Design etc. immer vergleichbarer, Kopien von erfolgreichen Serien können immer schneller realisiert werden. Kein Wunder, dass der Trendbericht auf der diesjährigen Pressekonferenz wenig erhellendes Neues präsentierte.
Glossy-Ink und Shape-Ink sind die neuen Trends
Also besinnt sich Branche auf die technischen Eigenschaften der Keramik. Die Glasurtechniken werden immer raffinierter und ausgefeilter. So lassen sich z.B. mit Klebern, die per Digitaltechnik aufgetragen werden (Glossy Ink-Verfahren), ganz neue Glanzeffekte erreichen, die zudem haptisch erlebbar sind. Ein weiteres neues Produktionsverfahren ist die Shape-Ink Technologie, die passend zur Grafik die Struktur der Fliesen hervorhebt. Zwei Techniken, die insbesondere bei Natursteinimitationen zum Einsatz kommen. So lassen sich quasi endlose Natursteindekorationen oder Holzoberflächen ohne Wiederholungseffekt erzielen.
Was bleibt von der Cersaie 2024? Die Branche wird sich auf ein weiteres schweres Jahr einstellen müssen. Vor allem in Deutschland ist eine spürbare Verbesserung, die zu einer Belebung des Wohnungsbaus und Objektgeschäftes führt, wahrscheinlich erst nach der kommenden Wahl zu erwarten. Und: Die Pressekonferenzen in den alten Stadt-Palästen waren stilvoller. Und Bologna ohne Taxis geht gar nicht!
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Video Cersaie Impressionen: