Türkei: Vom Billiglohn-Land zum Global Player

Zu Besuch bei den türkischen Fliesenherstellern Qua und Bien

Die Türkei galt viele Jahre in der Fliesenindustrie als Billiglohn-Land mit zweitklassiger Produktqualität. Inzwischen haben die Türken in allen Bereichen der Produktion enorm aufgeholt und sind ein ernstzunehmender internationaler Player geworden. Davon konnten wir uns nun auch selbst bei einem Besuch in der Türkei und einer Besichtigung der Firmen Qua Granite und Bien Seramik überzeugen. Die beiden Hersteller sind seit vielen Jahren zwei führende Unternehmen der türkischen Keramikindustrie und verfügen über eine Gesamtproduktionskapazität von fast 100 Mio. Quadratmetern pro Jahr.

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Qua Granite ist der größte Feinsteinzeug-Hersteller in der Türkei. Mit der Eröffnung neuer Produktionslinien hat das Unternehmen 2016 seine jährliche Produktionskapazität auf beeindruckende 41 Millionen Quadratmeter erhöht. Spätestens mit dem Start der neuen Anlage in der Aydın Söke Industrial Zone hat sich Qua Granite zu einem bedeutenden Akteur auf dem internationalen Fliesenmarkt entwickelt.

Aus der Luft werden die Dimensionen des neuen Werkes in Söke deutlich.
Aus der Luft werden die Dimensionen des neuen Werkes in Söke deutlich. Foto: Qua

Beeindruckende Größe

Und in der Tat ist in Söke alles noch ein Stückchen größer als in vielen anderen Fliesenwerken in Europa. Der Ofen ist fast 400 Meter lang, auf vielen Anlagen laufen die Platten in Doppellinien und auch von oben betrachtet hat der Industriekomplex beachtliche Ausmaße: Auf einer Produktionsfläche von 265.650 Quadratmetern Innen- und 144.832 Quadratmetern Außenbereich fertigt das Unternehmen technisches Feinsteinzeug und glasierte Feinsteinzeugfliesen.

Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk ist überall präsent, hier auf Feinsteinzeug im Eingangsbereich.
Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk ist überall präsent, hier auf Feinsteinzeug im Eingangsbereich.

Mit über 1.000 Mitarbeitern (in der gesamten Gruppe sind 10.000 Menschen beschäftigt) generiert Qua Granite etwa 25 % seines Umsatzes durch Exporte in über 100 Länder, wobei der Großteil der Exporte in europäische Länder und die USA geht. Der Exportanteil der europäischen Märkte beträgt rund 43 %, wobei die Balkanregion sich in der Vergangenheit besonders erfolgreich entwickelt hat. Auch zum italienischen Markt hat Qua traditionell gute Verbindungen. Hier operiert man vorrangig mit der Eigenmarke Majorca.

Qua Granite ist an der Borsa Istanbul notiert, und die Hauptanteilseigner sind Q Investment Holding INC und Ali Ercan. Ein signifikanter Anteil der Aktien ist im Streubesitz (Qua Granite Investor Relations) (FT Markets) (Qua Granite Investor Relations).

Blick in den Showroom. Neben Holzimitationen sind Marmoroptiken eine Stärke des Unternehmens.
Blick in den Showroom. Neben Holzimitationen sind Marmoroptiken eine Stärke des Unternehmens.

Weitere Investitionen geplant

Im vergangenen Jahr mussten auch Qua und Bien angesichts der schwierigen Marktlage Rückschläge in Kauf nehmen. Da die Türken allerdings mit Gas aus der Türkei und zu 90 % mit eigenen Rohstoffen fertigen, konnten sie den Abwärtstrend noch vergleichsweise gut abfedern. Die türkische Absatzdelle unterstreichen auch die Statistiken des Bundesverbandes Keramische Fliesen (BKF). Nach den Zahlen von Destatis, Eurostat und den verschiedenen Verbänden hatten die türkischen Fliesenhersteller bei den Importanteilen nach Ländern und Mengen in Deutschland im Jahr 2022 noch einen Anteil von 16 %, fielen allerdings in 2023 auf 12 % zurück.

Immerhin ist man gewillt, weiter intensiv in die Produktion zu investieren. Wie die Geschäftsleitung im Gespräch mit 1200Grad in Söke erläuterte, sieht man die derzeitige Abwärtsbewegung des Marktes als normale wirtschaftliche Entwicklung an. „Es wird sicherlich auch wieder aufwärts gehen und dann müssen wir auf die steigende Nachfrage gut vorbereitet sein“, so hieß es in der Türkei. So stehen bei Qua und Bien bereits Pläne für die immer stärker nachgefragten Outdoor-Platten in Stärken von 20 mm auf dem Programm. Ende 2024 sollen zwei weitere Linien im Bereich Feinsteinzeug angefeuert werden. Spätestens bis Ende 2024 soll zudem noch ein weiteres Werk in Betrieb gehen. Daran, dass der Fliesenmarkt insgesamt eine erfolgreiche Zukunft hat, ließ man jedenfalls keine Zweifel.

Mamoroptik Bianco River im Trendformat 60x120cm. Foto: Qua
Mamoroptik Bianco River im Trendformat 60x120cm. Foto: Qua

Bien Seramik: Auch Sanitärkeramik

Bien Seramik, bekannt für seine innovativen Designs und seine umfangreiche Produktpalette, produziert an seinen Standorten in Bilecik und Bozüyük und der 2. OIZ-Region. Das Unternehmen arbeitet mit über 130 Händlern und mehr als 3.500 Verkaufsstellen in der Türkei zusammen und hat sich heute zu einer globalen Marke entwickelt, die 35 % ihrer Produktion in fast 90 Länder auf sechs Kontinenten exportiert.

Mit einer jährlichen Produktionskapazität von über 50 Millionen Quadratmetern setzt Bien Seramik auf modernste Produktionstechnologien und war der erste Hersteller in der Türkei, der digitale Technologien für die Herstellung von Wandfliesen und 20 mm technischem Feinsteinzeug einsetzte. Die Produktionsstätten sind nach verschiedenen internationalen Standards zertifiziert.

Serie Travertino Cafe, Format 60×120 cm. Foto: Qua

Breitgefächertes Produktangebot

Qua Granite bietet ein breites Sortiment an Produkten. Das Produktangebot umfasst technisches Feinsteinzeug für verschiedene Anwendungen im Bereich Boden- und Wandverkleidungen sowie großformatige Platten für moderne architektonische Projekte. Qua Granite legt großen Wert auf nachhaltige Produktionstechniken und Materialien.

Bien Seramik bietet ein umfangreiches Sortiment an Boden- und Wandfliesen, die in einer Vielzahl von Designs, Farben und Texturen erhältlich sind und für Innen- und Außenbereiche geeignet sind. Darüber hinaus gehört hier ebenfalls technisches Feinsteinzeug für stark frequentierte Bereiche zum Portfolio. Unter der Marke Bien Banyo produziert das Unternehmen auch Sanitärkeramik, einschließlich Waschbecken, Toiletten und Armaturen.

Serie Epoch Anthracite 60x120. Foto: Qua
Serie Epoch Anthracite 60×120. Foto: Qua

In Deutschland schon erfolgreich

Sowohl Qua Granite als auch Bien Seramik exportieren ihre Produkte nach Deutschland. Inzwischen kooperieren Qua und Bien bereits mit zahlreichen namhaften Ketten und Händlern in Deutschland. Außerdem lassen namhafte Hersteller aus Italien und Spanien in den Werken von Qua und Bien Fliesen produzieren.

Ein junges und sehr engagiertes Team rund um Çiğdem Çakır Suna, Executive Vice President of Sales Qua Trading & Bien Trading, kümmert sich in Söke um die Umsetzung. „Wir wollen weiter erfolgreich wachsen und sehen im deutschen Markt ein großes Potenzial,“ so Çiğdem Çakır Suna gegenüber 1200Grad.

Strafzölle für Exporte nach Deutschland

Türkische Fliesen sind bekannt für ihr hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis. Die Produktionskosten in der Türkei sind oft niedriger als in Europa, was es den Herstellern ermöglicht, ihre Produkte zu besonders wettbewerbsfähigen Preisen anzubieten.

Für den Export von Fliesen und Keramikprodukten aus der Türkei in die EU, einschließlich Deutschland, werden deshalb seit geraumer Zeit Strafzölle erhoben, die von den jeweiligen Handelsbestimmungen und Zollsätzen der EU abhängen. Diese Zölle können sich auf den Endpreis der Produkte auswirken und somit die Wettbewerbsfähigkeit der Exporteure beeinflussen. Die Strafzölle auf Qua und Bien-Produkte liegen aktuell bei 4,8 Prozent.

Nachhaltigkeit und Umweltschutz

Inzwischen legen viele türkische Fliesenhersteller auch großen Wert auf Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit in ihren Produktionsprozessen. Qua Granite reinigt z.B. das gesamte im Produktionsprozess verwendete Wasser und verwendet es wieder. Außerdem setzt sich das Unternehmen aktiv für die Prinzipien des UN Global Compact ein.

In Söke ist alles ein Stück größer: das Ende des Ofens ist kaum sichtbar.
In Söke ist alles ein Stück größer: Das Ende des Ofens ist kaum sichtbar.

Logistische Herausforderungen

Türkische Fliesenhersteller bieten im Vergleich zu anderen internationalen Anbietern den Vorteil, dass ihre Ware nicht durch den Suez-Kanal muss. Dadurch sind die Kosten besser kalkulierbar und sehr stabil. Inzwischen haben sich die Containerkosten laut Matlari wieder weitgehend normalisiert, so dass die Logistikkosten relativ stabil sind. Von Izmir und Gemlik aus gehen die Qua- und Bien-Fliesen auf ihre ca. dreiwöchige Reise nach Deutschland. Die Umstellung der Produktion auf das dünne 7 mm Material bringt zudem eine spürbare Kosteneffizienz in der Logistik für die Händler.

Selbst produzierte Plastikstützen verhindern ein Umfallen der großformatigen Platten und geben zusätzlich Stabilität für den langen Transport.
Selbst produzierte Plastikstützen verhindern ein Umfallen der großformatigen Platten und geben zusätzlich Stabilität für den langen Transport.
Feine Silikonstreifen schützen die Oberflächen.
Feine Silikonstreifen schützen die Oberflächen.

Um Brüche und Schäden auf der langen Reise mit zahlreichen Umladungen wirkungsvoll zu vermeiden, sind spezielle Verpackungen und Handlingmethoden erforderlich. So werden vor allem die großformatigen Platten auf der Palette mit speziell entwickelten und selbst gefertigten Plastikstützen gegen Umfallen gesichert. Zudem werden kleine Silikonstreifen je nach Bedarf auf die Plattenoberseite aufgebracht, um Transportschäden zu vermeiden. Die Streifen können vor der Verlegung mit einem Finger schnell und einfach entfernt werden.

Fazit: Die Türkei ist weiter im Kommen

Der deutsche Markt ist hochkompetitiv und wird noch von den etablierten europäischen Herstellern aus Spanien und Italien dominiert. Deutsche Kunden erwarten hohe Qualität, innovative Designs und exzellenten Kundenservice. Türkische Hersteller wie Qua und Bien haben jedoch in den letzten Jahren enorm aufgeholt. Sie bieten zeitgemäße Produkte zu attraktiven Preisen und verfügen über eine moderne Produktion nach gängigen Umweltstandards. Die Türken investieren des Weiteren zunehmend in Marketing und Vertrieb, um sich gegen etablierte Marken durchzusetzen. Wer die längeren Lieferzeiten verschmerzen kann, findet in der Türkei interessante Fliesen-Alternativen für die heimische Ausstellung. Von den Top-Seller Produkten ist zudem bereits ein Lager in Bremen eingerichtet. So sind auch kurzfristige Lieferungen an Kunden garantiert.

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