Brückenwärterhäuser: Hotelzimmer in Amsterdam mit Kanal-Anschluss
Vollausgestattete Bäder mit Grohe Produkten lassen nichts vermissen

Der Begriff Digitalisierung ist im Zeichen der Corona-Pandemie zu einem Hype geworden. Das täuscht darüber hinweg, dass auch schon zu früheren Zeiten eben die damit verbundene Automatisierung im öffentlichen Leben eine große Rolle spielte. Nur fand sie meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Eines der typischen Beispiele dafür lieferte jetzt die Stadt Amsterdam und schickte damit eine ehemals hoch angesehene Berufsgruppe in Rente: die Brückenwärter. Denn als Amsterdam 2009 damit begann, ihr umfangreiches Brücken- und Schleusensystem zu automatisieren. wurden Schritt für Schritt nicht nur die Brückenwärter, die zuvor noch persönlich über den Schiffsverkehr gewacht hatten, überflüssig, sondern auch ihre Wärterhäuschen. Sie waren zusammen mit den Brücken gebaut worden und viele stehen heute unter Denkmalschutz.
Die ersten ihrer Art wurden bereits vor über 300 Jahren erbaut. An ihnen sind die wechselnden Architekturstile der Stadt abzulesen. Wer das Wasserstrassennetz der niederländischen Metropole kennt, weiß um die Vielzahl dieser baulichen Einrichtungen, deren Lage und Adresse zudem eher ungewöhnlich ist. Außerdem waren Architektur und Raumgestaltung stets zweckgebunden, also für bürgerliche Nutzung ursprünglich wenig geeignet. Hin und wieder nutzten Bars oder Imbissbuden nach der „Ausmusterung“ das ungewöhnliche Flair des Leerstandes.
Dass jetzt 28 dieser Brückenwärterhäuser einem neuen „Lebensabschnitt“ zugeführt werden konnten, ist dem Architekturbüro Space & Matter zu verdanken, die damit eine lang gehegte Idee eines dezentralisierten Hotels umsetzen konnten. Inmitten der pulsierenden Metropole bot sich so die einmalige Chance, bestehenden urbanen Raum neu zu interpretieren und die geschichtsträchtigen Bauten in charmante Unterkünfte auf und am Wasser zu verwandeln. Dass dies keine leichte Aufgabe wurde, ergab sich schon aus der Größe der Wärterhäuser mit einer Grundfläche zwischen 12 und bis zu 70 Quadratmetern. Es gab eine kleine Küche, um Kaffee zu kochen, eine Toilette, ein Waschbecken. Daraus sollte nach dem Willen der Architekten ein komfortables Hotelzimmer mit Dusche, WC und Doppelbett werden, ohne das Flair des Originals zu verfälschen. Das bedeutete nicht nur 28 detaillierte Bestandaufnahmen, ebenso viele Entwurfsideen und, da die meisten Brückenwärterhäuser in verschiedenen Stadtbezirken liegen, fast ebenso viele Bauanträge.

Nach viel Recherche und dank der engen Zusammenarbeit mit der Betreiberfirma Lloyd Hotel sowie dem Projektentwickler Grayfield bieten heute die ehemalige Brückenhäuser unter dem Sammelbegriff Sweets Hotel und dem Slogan „Dream big, sleep tiny“ ganz besondere Rückzugsorte, einige ruhig am See gelegen, andere an lebendigen Kanalkreuzungen. Wer zum Beispiel hier vor die Tür tritt, steht meist auf einer vielbefahrenen Kreuzung. Ohrenstöpsel sorgen in solchen Fällen für Ruhe.
Brückenwärterhäuschen als Idealbilder der Architektur ihrer Zeit
So spannend das Projekt, so herausfordernd gestaltet sich der Umbau. Die an Klapp-, Hebe- und Zugbrücken sowie Schleusen über die ganze Stadt verteilten Brückenhäuschen verfügen über ungewöhnliche Raumformen: von rund über oktogonal und rechteckig bis hin zu trapezförmig. Ab dem 16. Jahrhundert meist in Holzbauweise errichtet, setzte man im 19. Jahrhundert vermehrt auf gemauerte, betonierte oder metallene Gebäude. Sie alle eint die für Holland so typische Einsichtigkeit. Großzügige Fensterfronten kreieren auch auf kleinem Raum ein offenes Ambiente, sorgen für einen hohen Lichteinfall und Übersicht, denn den brauchten Brückenwärter für ihre Arbeit. Ziel der Gestaltung war ausreichend Privatsphäre, denn so viel Aussicht die Häuschen auch erlauben, so wenig wird von Passanten wahrgenommen, was in ihnen vor sich geht. Zum Schutz vor fremden Blicken wurden zudem Jalousien und Vorhänge in die Raumentwürfe integriert, die besonders in der Nacht für eine intime Atmosphäre sorgen.
Charmante Unterkunft mit Geschichte
Eine weitere Besonderheit dieser außergewöhnlichen Unterkunft: Jedes Brückenhäuschen erzählt seine eigene Geschichte, die individuell an Ort und Charakter des Bestands geknüpft ist. Sie alle eint ein einzigartiger Charme und eine designstarke Einrichtung, die im Zuge sogenannter „Design-Picknicks“ von den Architekten in mühevoller Kleinarbeit individuell für jedes Objekt entwickelt wurde. Gut erhaltene Einbauteile und Materialien wurden in die jeweiligen Designkonzepte integriert. Terrazzo, poliertes Aluminium sowie gestrichenes Holz zeugen vom Qualitätsanspruch und ergeben in Verbindung mit den historischen Elementen ein stimmiges Gesamtbild. Die Relikte der Brückenwärter unterscheiden sich von Unterkunft zu Unterkunft. Hinzugekommen ist jeweils eine neue digitale Bedieneinheit, die Hotelinformationen, Schlüsselkarte und Stadtführer in sich vereint. Das Check-in funktioniert über das Smartphone, ein Tablet verrät die Do’s and Dont’s für Haus und Nachbarschaft.
Alle Sweets Häuser sind mit Doppelbett, Kaffeeutensilien und Badezimmerbeigaben ausgestattet. Die sanitären Einrichtungen wie Dusche, Waschbecken und WC wurden überall neu eingebaut, schließlich waren sie im Arbeitsalltag eines Brückenwärters früher nicht notwendig. Die Armaturen sind individuell auf die jeweilige Unterkunft abgestimmt und passen sich harmonisch den unterschiedlichen Raumkonzepten an. Auch wenn die soziale Komponente innerhalb dieses außergewöhnlichen Hotels entfällt, so bieten die Brückenhäuschen doch optimale Bedingungen für eine Interaktion mit der Nachbarschaft. Das Prinzip der Unterkünfte ist immer gleich: Man teilt den knapper werdenden Raum im urbanen Umfeld und profitiert damit von einer exklusiven Erfahrung, denn Ausblicke und Bezug zur Stadt suchen ihresgleichen.

Geschichtlich betrachtet war der Brückenwärter ein angesehener Mann. Ihm oblag die Entscheidung, in welcher Richtung der Verkehr läuft, ob zu Wasser oder zu Lande. Doch Digitalisierung und Rationalisierung des neuen Jahrtausends führten zu einer Zentralisierung des Systems. Brückenwärteraufgaben wurden fortan gebündelt, nicht mehr jede Brücke vor Ort bedient. Nichtsdestotrotz liegt der letzte Neubau nicht lange zurück. So entstand noch 2013 ein Brückenhäuschen weit außerhalb der Stadt im Osten des Stadtentwicklungsgebiets IJburg. Zwischen 1672 und 2009 erbaut, dokumentieren die Brückenwärterhäuser die Baustile der Stadtarchitektur, zeugen von der klassizistisch-niederländischen Eleganz des 17. Jahrhunderts, der Detailverliebtheit im Backsteinexpressionismus der Amsterdamer Schule, dem kubisch-linearen Purismus der De-Stijl-Strömung und von der zeitgenössischen Zweckarchitektur, die mitunter an futuristische Kommandozentralen erinnert.
Die Hotelgäste müssen die Klappbrücken zwar nicht mehr selbst bedienen. Aber dafür gibt es eher ungewöhnliche Sicherheitsregeln zu beachten. Denn einige der Häuschen befinden sich hinter der Schranke, die den Verkehrsstrom mit Fußgängern, Radfahrern, Autos oder Trambahnen von den Brückenmanövern fernhält. So dürfen die „Hotelzimmer“ während des Klappvorgangs nicht verlassen werden. Das Studium der an den Eingangstüren angeschlagenen Hotelzimmerregeln ist obligatorisch. Aus Sicherheitsgründen darf man nur als Erwachsener über 21 Jahren im Hotel einchecken. Das 1673 errichtete und zugleich älteste Haus des Ensembles erreicht man sowieso nur per Boot. Es steht in der Mitte der Amstel über einer Schleuse. Vor den erhaltenen Kontrollpaneelen darf man sich wie der Chef einer großen Modelleisenbahn fühlen.

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