Junge Fachkräfte halten

Strategien gegen die Betriebsflucht aus Selbstoptimierungsgründen

Der vielversprechende Azubi kündigt kurz nach seiner Gesellenprüfung und Übernahme völlig unerwartet? Das könnte dahinterstecken – und so steuern Sie gegen. Drei zentrale Botschaften zur langfristigen Mitarbeiterbindung Handwerksexpertin Andrea Eigel.

Der Drang zur Selbstoptimierung ist allgegenwärtig. Während es zweifellos sinnvoll ist, sich stetig weiterzuentwickeln, erleben viele junge Menschen diesen Prozess nicht als Bereicherung, sondern als ständigen Druck. Besonders in ausbildenden Betrieben zeigt sich dies auf eine herausfordernde Weise: Trotz vielfach hervorragender Bedingungen und umfassender Förderung verlassen viele frisch ausgebildete Fachkräfte den Betrieb kurz nach ihrer Gesellenprüfung. Wie können Handwerksunternehmen ihren Nachwuchs davon überzeugen, dass der Verbleib im Betrieb eine ebenso attraktive wie lohnende Option ist?

Nach der Ausbildung – nichts wie weg zu neuen Zielen

Betriebsinhaber klagen zunehmend über ein Phänomen: Kaum ist die Ausbildung beendet, verabschieden sich viele Nachwuchskräfte – entweder in eine Meisterschule, ins Studium oder einfach auf der Suche nach „etwas anderem“. Manche möchten reisen, andere planen eine Zweitausbildung oder nehmen sich bewusst Zeit für die Familie. Wieder andere scheinen getrieben von der Angst, eine noch bessere Gelegenheit zu verpassen.
Hat der klassische Lebenslauf innerhalb eines Fachgebiets an Reiz verloren? Wird Stetigkeit im Beruf als Stillstand missverstanden? Und könnte es sein, dass sich manche Gesellinnen und Gesellen getrieben fühlen, weil Erfolg oft mit schnellen Karrieresprüngen, prestigeträchtigen Titeln oder instagramfähigen Aufbrüchen zu neuen Ufern gleichgesetzt wird?

Drei zentrale Botschaften zur langfristigen Mitarbeiterbindung

Wie kann man diesem Trend im Betrieb begegnen? Am besten, indem man schon zu Beginn der Ausbildung ein Gegenmodell zur nervösen Selbstoptimierung aufzeigt. Drei Botschaften, die aktiv kommuniziert werden sollten, sind dabei wesentlich:

1.     Beständigkeit bedeutet nicht Stillstand – sondern Tiefe
Während für manche Menschen der ständige Wechsel neue Impulse bringt, erfahren viele andere wahre Zufriedenheit durch tiefgehende Expertise und langfristige Erfahrung im erlernten Beruf.

2.     Langjährige Berufserfahrung zahlt sich aus
Wer über Jahre im selben Betrieb arbeitet, gewinnt wertvolle fachliche und persönliche Kompetenzen hinzu. Es ist nicht langweilig, sich innerhalb seines Berufs weiterzuentwickeln – im Gegenteil: Es eröffnet neue Chancen, frische Perspektiven und kann für große Zufriedenheit sorgen.

3.     Karriere ist auch im eigenen Betrieb möglich
Weiterentwicklung muss nicht bedeuten, den Arbeitgeber zu wechseln. Auch innerhalb des Unternehmens gibt es unzählige Entwicklungsmöglichkeiten – sei es durch wachsende Verantwortung, spezialisierte Fachqualifikationen oder interne Karriereschritte.

Azubis müssen Spaß an der Arbeit haben und Perspektiven – dann bleiben sie auch. Foto: BayWa

Beständig is beautiful: aktiv kommunizieren

Die beste Botschaft ist nur so gut wie die Art und Häufigkeit, mit der sie den jungen Leuten vermittelt wird. In der betrieblichen Kommunikation – ob intern in Teambesprechungen, im ganz normalen Arbeitsalltag oder nach außen, vor allem in Online-Medien – gehören deshalb die ganz gewöhnlichen beruflichen Lebensläufe viel mehr in den Fokus gerückt:

1.     Den Wert von Beständigkeit hervorheben
In vielen Betrieben stehen besonders die „Überflieger“ im Rampenlicht. Doch was ist mit jenen, die über Jahre hinweg konstant zur Stabilität und zum Erfolg des Unternehmens beitragen? Sie verdienen Anerkennung – und ihre Geschichten sollten erzählt werden. Sie machen Azubis deutlich, welche beruflichen Möglichkeiten sie im Betrieb haben und vor allem: dass darin große Lebenszufriedenheit stecken kann.

2.     Langfristige Karrierewege sichtbar machen
Unternehmen sollten nicht nur Erfolgsstorys von rasanten Aufstiegen präsentieren, sondern auch jene von Mitarbeitenden, die durch Kontinuität und Loyalität ihre Karriere auf nachhaltige Weise gestalten. Denn diese Menschen sind nicht nur beständig, sondern oft auch aufgrund ihrer Hobbies oder Lebenseinstellungen „cool“. Warum erfahren sie ihr berufliches Leben als sinnhaft? Wie profitieren sie von der Verankerung im Betrieb? Wie bereichert ihre Treue zum Betrieb ihr privates Leben? Diese Geschichten gehören auf die Website, in Social-Media-Kanäle und ins persönliche Gespräch mit den Azubis.

3.     Persönliche Perspektiven frühzeitig aufzeigen
Bereits während der Ausbildung sollten Gespräche stattfinden, die aufzeigen, welche individuellen Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb des Betriebs bestehen. Konkrete kleine Karriereschritte – sei es in Form zusätzlicher Verantwortung oder Spezialisierung – machen die Zukunft greifbar und attraktiv.

Unterm Strich: ankommen statt getrieben sein!

Die beste Ausbildung mit attraktiven Zusatzleistungen allein reicht heute nicht mehr aus, um junge Fachkräfte im Betrieb zu halten. Während einige klare Karriereziele verfolgen, geraten viele in einen Optimierungsstrudel, der sie auf die Suche nach immer neuen Herausforderungen treibt.

Unternehmen müssen ihnen aufzeigen, dass Erfüllung nicht nur in ständiger Veränderung liegt, sondern ebenso durch stabile berufliche Entwicklung im bestehenden Arbeitsumfeld erreicht werden kann. Lebendige Vorbilder, inspirierende Karrieregeschichten und konkrete Entwicklungsperspektiven können jungen Fachkräften die Sicherheit geben, dass ihr Glück möglicherweise näher liegt, als sie denken: im Betrieb und eben nicht auf der wilden Jagd nach ständig neuen Lebens- und Arbeitsmodellen.

Über die Autorin

Andrea Eigel. Foto: privat

Andrea Eigel ist Handwerksexpertin. Sie begleitet seit rund 20 Jahren Unternehmerinnen und Unternehmer im Handwerk und unterstützt sie dabei, Kundschaft zu gewinnen, Mitarbeitende langfristig zu binden und mit Begeisterung bei der Sache zu bleiben. Sie coacht Führungskräfte, inspiriert mit Vorträgen und Seminaren, moderiert Fachveranstaltungen und bringt ihre Erfahrung in der Leitung von Erfa-Gruppen ein. Zudem gibt sie ihr Praxiswissen als Dozentin an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg weiter.

Neben dem Transfer von Knowhow und ihrer fachlich fundierten Beratung sorgt Andrea Eigel zusammen mit ihrem Ehemann Matthias Eigel in der Agentur Kaleidoskop auch für die Umsetzung ihres Wissens in den Praxisalltag. Persönlich, pragmatisch, passgenau. Denn beide wissen exakt, was kleine und mittlere Handwerksbetriebe bewegt. Ihre Kenntnisse sind zu hundert Prozent praktisch gewonnen und fachlich gründlich untermauert.

Mehr hier: www.andreaeigel.de / www.kaleidoskop.de

Anzeige
WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner