„Unsere Strategie ist nicht der Preisbrecher zu werden“

Interview mit der Boizenburg-Geschäftsleitung zur neuen Produktionsgesellschaft

Boizenburg Fliesen machte vor kurzen auf sich aufmerksam, als das Unternehmen die Gründung einer neuen Produktionsgesellschaft zur Herstellung von keramischen Terrassenplatten in Aschersleben ankündigte. Das ehemalige Petraluxe-Werk wird zu diesem Zweck bis Ende Februar 2022 umgerüstet. Im März sollen die ersten Produkte vom Band rollen. 1200Grad unterhielt sich dazu mit Geschäftsführer und Inhaber Alexander Stenzel, Vertriebsleiter Ingo Reisdorfer sowie Entwicklungsleiter Michael Pander.

Wann haben Sie sich zum ersten Mal mit dem Gedanken dieser Investition beschäftigt?

Alexander Stenzel: Ich will nicht sagen, schon immer, aber schon lange. Unsere Entscheidung 2016 Boizenburg Fliesen weiterzuführen, basierte auf der Tatsache unabhängiger vom Importgeschäft zu werden, denn der Importmarkt ist nur begrenzt zuverlässig.
Themen, wie Anti-Dumping-Zölle, schwierige politische Verhältnisse in Zulieferländern, Krisen in der Logistik, Währungsschwankungen und, wie sich gezeigt hat, Pandemien muss man als Unternehmer in die eigenen strategischen Überlegungen einbeziehen. Gerade Anti-Dumping hat uns damals viel Energie, auch Geld gekostet und gelehrt, dass wir nicht blauäugig abwarten, sondern aktiv nach einem Plan-B, einer Alternative suchen müssen. Boizenburg war vor fünf Jahren solch ein Plan-B, so wie jetzt das Werk in Aschersleben die Chance ist, etwas zu verändern und das Heft selbst in die Hand zu nehmen.

Altes Logo, neue Energie: Auf dem Gebäude der Verwaltung prangt noch das alte Logo, vorne auf dem Schild das Neue.

Der deutsche Produktionsstandort hat mit hohen Lohnkosten, hohen Umweltauflagen etc. zu kämpfen. Wie bleiben in Deutschland gefertigte Produkte dennoch preislich konkurrenzfähig?

Ingo Reisdorfer: Die Produktionsanlage in Aschersleben ist modern und effizient. Gerade werden dort Modifikationen vorgenommen, um diese Effizienz für die zukünftigen Produktionszwecke noch zu steigern.

Hinzu kommt, dass wir einen Standortvorteil – in der Mitte von Deutschland – haben, der kurze Transportwege ermöglicht. Das ist gerade im Hinblick auf die schwereren keramischen Terrassenelemente in 20 mm und 30 mm Dicke nicht unerheblich.

Unsere Strategie ist nicht der Preisbrecher zu werden, der die Importe aus zum Beispiel Indien oder der Türkei unterbietet. Wir wollen mit „Made in Germany“ das mittelpreisige und höherwertigere Segment bedienen. Diese Ausrichtung begrüßten unsere Kunden in ersten Gesprächen.

Wir wollen mit „Made in Germany“ das mittelpreisige und höherwertigere Segment bedienen.

Wieso beschränkt sich das Investment „nur“ auf Terrassenplatten?

Michael Pander: Wir werden in Aschersleben eine klare Linie fahren. Wir fokussieren uns auf genau diese eine Sache, denn nur dann können wir schnell die Ergebnisse und die Kapazität erreichen, die der Markt fordert.

Es sind noch weitere Investitionen in unsere Möglichkeiten der 90Grad-Produktkonzepte aus Wand- und Bodenfliesen geplant, dies wird aber am Standort Boizenburg der Fall sein.

Wie haben Ihre Kunden – vor allem im Handel – auf die Investition reagiert?

Ingo Reisdorfer: Die Resonanz ist sehr positiv. Viele wollen von Anfang an dabei sein.Dies resultiert sicher auch aus der Tatsache, dass seit der Pandemie die Lieferketten oftmals aufbrechen und dadurch die Warenverfügbarkeit nicht gewährleistet ist. Da ist man in Deutschland einfach näher dran und die Verfügbarkeit ist deutlich sicherer – wir sprechen da aus bester Erfahrung.

Atmosphärisch: Die Ausstellung ist in Boizenburg den alten Lagerhallen untergebracht und versprüht Loft-Feeling.

Neben diesem ökonomischen Aspekt wurde in unseren Gesprächen nicht nur das Engagement wertgeschätzt, dass gerade in der heutigen Zeit überhaupt jemand den Mut hat zu investieren, sondern auch begrüßt, dass in Deutschland ein Standort erhalten, Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen werden.

Wie positionieren sich „deutsche Terrassenplatten“ in Sachen Qualität und Preis gegenüber zugekaufter Ware aus dem Ausland?

Michael Pander: Selbstverständlich werden wir die geforderten Qualitätsstandards erreichen und auch anbieten. In der zweiten Entwicklungsstufe werden wir sicher neue Standards setzen. Preislich kann das Niveau der Produkte „Made in Germany“ etwas höher liegen, was sich aber schlussendlich erst sagen lässt, wenn die ersten Produkte aus dem Ofen kommen. Die Logistik- Rohstoff- und Energie-Märkte sind derzeit noch zu instabil, um eine Schlussrechnung aufzumachen.

In der zweiten Entwicklungsstufe werden wir sicher neue Standards setzen.

Wie schätzen Sie die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten von Boizenburg Fliesen ein?

Alexander Stenzel: Wir bemerken, dass der Imagewandel und die Weiterentwicklung von Boizenburg Fliesen erste Früchte tragen. Unser Weg ist der Richtige. Wir würden nicht investieren, wenn wir nicht von einer positiven Zukunft nicht nur unseres Unternehmens, sondern der gesamten Fliesenindustrie in Deutschland ausgingen. Aber wir alle müssen uns bewegen, denn allein das zunehmende Umweltbewusstsein des Endkunden gewinnt immer mehr Einfluss auf die Kaufentscheidung und ist ein Vorteil für den Standort Deutschland. Die schon angesprochenen Krisen und Engpässe sind weitere Themen, die den Groß- und Fachhandel sowie den DIY-Bereich zum Überdenken der Lieferketten veranlassen. Die Chancen sind groß. Wir müssen mehr miteinander reden und dann gemeinsam handeln.

Wir würden nicht investieren, wenn wir nicht von einer positiven Zukunft nicht nur unseres Unternehmens, sondern der gesamten Fliesenindustrie in Deutschland ausgingen.

„Machen ist wie wollen – nur krasser!“ Auch in der Kommunikation, hier ein Video zu den neuen Terrassenelementen – geht Boizenburg mutige Wege.

Wie stark beeinflussen die augenblicklichen Preisdiskussionen, Logistikprobleme und Rohstoff Verknappungen Ihr Geschäft?

Ingo Reisdorfer: Massiv. Und das ist kein Geheimnis. Wir Hersteller, als unmittelbar Betroffene, müssen unsere Kalkulation auf die neue Situation einstellen. Dies tun wir mit so viel Fingerspitzengefühl, wie es uns möglich ist.

Das Preisgefüge der letzten Jahre lässt sich nicht mehr realisieren und das gilt für alle. Wir müssen hier gemeinsam, Hersteller und Handel, Wege finden, diese Herausforderung zu meistern, ohne dass das Produkt am Verkaufsort Schaden nimmt. Es ist aber auch eine Chance näher zusammenzurücken, noch enger zu kooperieren.

Das Preisgefüge der letzten Jahre lässt sich nicht mehr realisieren und das gilt für alle.

Die deutschen Hersteller haben in den vergangenen Jahren kontinuierlich Marktanteile verloren. Wird es in 5-10 Jahren überhaupt noch deutsche Fliesenhersteller geben?

Alexander Stenzel: Wir alle kennen die Gründe, warum dem so ist und schauen nach Italien, die in diesem Markt so erfolgreich sind. Fast alle relevanten Entwicklungen und Innovationen unserer Branche kommen von dort, weil man das Potenzial des Produkts früh erkannt und auch von staatlicher Seite gefördert hat.

Wenn man, wie die Industrie in Deutschland, Entwicklungschancen verpasst hat und dann noch gegeneinander spielt, kann dabei nichts Gutes herauskommen.

Einige sind schon auf der Strecke geblieben, aber noch besteht die Chance es besser zu machen. Gemeinsamer und mit gegenseitigem Nutzen. Und deshalb ist meine Antwort auf Ihre Frage: Ja. Und ich bin davon überzeugt, dass wir in den nächsten zehn Jahren Marktanteile in relevanter Größenordnung zurückgewinnen werden.

Wenn man, wie die Industrie in Deutschland, Entwicklungschancen verpasst hat und dann noch gegeneinander spielt, kann dabei nichts Gutes herauskommen.

Video-Interview mit Alexander Stenzel, Boizenburg Fliesen:

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