Nach der Cevisama „auf heimischem Terrain“ in Valencia ist für die spanischen Fliesenhersteller der Branchentreff in Bologna eine der wichtigsten Anlaufstellen. Von Jahr zu Jahr vergrößert sich die Zahl der Aussteller aus Spanien, die sich auf der Cersaie dem Vergleich mit dem internationalen Wettbewerb stellen. In diesem Herbst traten insgesamt 111 Fliesenhersteller von der Iberischen Halbinsel die Reise nach Bologna an, um dem Fachpublikum aus der ganzen Welt ihre Designideen und technischen Neuerungen vorzustellen.
Ob Global Player oder die kleine Manufaktur – in Bologna trafen sich die spanischen Hersteller zum regen Austausch mit Architekten, Inneneinrichtern, Händlern und auch Studenten. Die Besucher entdeckten auf den Ständen neues Fliesen-Design, das dem Geschmack der jeweiligen Absatzmärkte angepasst wurde. Um die wachsende Nachfrage nach hochwertigen Großformaten zu befriedigen, setzen viele Firmen inzwischen Continua-Anlagen ein. Ebenso sind verschiedene Formate in sechs Millimetern Stärke ein wichtigstes Thema in den spanischen Kollektionen. Aber auch Farbe und Dekoration spielen eine große Rolle, was sich auch in einzelnen Trends made in Spain widerspiegelt.
„Unvollkommenheit“ als Vorbild für die neuen Vintage-Optiken
Eines der größten Themen der spanischen Designer ist die Suche nach ungewöhnlichen Materialien und Texturen, die sie in ihre keramischen Entwürfe übersetzen können. Hierbei geht es ihnen nicht nur um eine reine Vintage-Optik, sondern auch um das Thema der Unvollkommenheit. So findet man bei den aktuellen Entwürfen Referenzen an die Unregelmäßigkeit von Schieferplatten, an abgenutzt, zerrissen oder auch zerkratzt wirkende Flächen sowie an Auswirkungen von Erosion und Abrieb. Das sind nur einige der gestalterischen Elemente, die als Vorbild dienen. Dieser Trend bildet Stoffe und Gegenstände ab, die den Lauf der Zeit überdauert haben und lässt sie durch ein authentisches Abbild auf Feinsteinzeug weiterleben. So zeigte Apavisa mit seiner Serie „Nanofusion 7.0 Wood Natural“ auf seinem größten Format in 60×120 cm eine interessante Holzoptik, die aussieht, als würde sie durch alte, abgeschmirgelte Farbschichten hindurchscheinen.
Einen weiteren dekorativen Weg schlagen die Spanier durch das Spiel mit Farbverläufen ein. Dabei überwiegen dunkle und kalte Töne vor allem in Schwarz, Grau und Blau. Wichtig sind hier auch ineinander übergehende Grenzen und die einzigartigen Effekte von Wasserfarben sowie Anleihen aus der Aquarellmalerei. Die Serie „Mediterraneo“ des Anbieters Cerámica Vilar Álbaro bringt dieses Farbenspiel im traditionellen Format 10×30 cm anschaulich zur Geltung.
„Brutalismus“ und Beton: ein kreativer Ausflug in die Architekturgeschichte
Mit dem sogenannten „Brutalist Style“ huldigen die Spanier dem so genannten „Brutalismus“, einem Architekturstil der Moderne, der ab 1950 Verbreitung fand. Zurückzuführen ist der Begriff auf das französische béton brut, was roher Beton bedeutet und gleichzeitig auch den bevorzugten Werkstoff Le Corbusiers beschreibt. Typisch für diesen Stil ist ein kompromissloses, ehrlich anmutendes Erscheinungsbild mit klaren geometrischen Körpern. Übersetzt auf keramische Fliesen bedeutet es, den Blick auf die reine Materialität zu werfen. So werden etwa die Oberflächen von Sichtbeton, Marmor, Granit, Zement oder magmatischem Gestein extrem vergrößert dargestellt, um deren Beschaffenheit zu erforschen. Die Leidenschaft für die Materie Stein schlägt sich auf Feinsteinzeug in monolithischen Entwürfen mit großen geologischen Oberflächen nieder. Vor allem XXL-Formate sind sowohl wegen ihrer technischen Eigenschaften als auch wegen ihrer Vielzahl an Anwendungsmöglichkeiten zu finden. Die Kollektionen wurden speziell für große Flächen oder Fassaden entworfen und finden auch als Arbeitsplatten oder Wand- und Möbelverkleidung ihre Verwendung.
In der zeitgenössischen Architektur spielt Nachhaltigkeit eine sehr wichtige Rolle. Dazu zählen auch die Wiederverwendung und die Wiedergewinnung von Materialien sowie von ganzen Gebäuden. Letztere werden laut dem aktuellen Architekturtrend „Restore Materials“ nicht abgerissen, sondern einer neuen Nutzung zugeführt: Was bereits existiert, wird verwendet. Dazu gehört auch die Bewahrung von Traditionen, die Wertschätzung von Vorhandenem. Übertragen auf die neuen keramischen Kollektionen bringt diese Strömung wieder einfache Fliesenformate mit schlichten und klassischen Texturen hervor. Darunter Terrakotta, Majoliken und andere Arten farbig glasierter Tonware in verschiedenen Farben sowie handwerkliches Steinzeug und die „katalanische Fliese“, die zusammen mit Ziegeln und Zementfliesen als Feinsteinzeug die Hauptdarsteller dieses Trends sind.
Eine Mischung aus Nostalgie und Modernität
Eine Mischung aus Nostalgie und Modernität bringt die Wiederbelebung des Einrichtungsstils der 1950er- und 1960er-Jahre hervor. Der Mid-Century-Trend lebt durch das Zusammenspiel von alten und neuen Elementen. Im Möbel- und Polsterbereich zeigen sich seine Auswirkungen deutlich, aber auch die Keramik liefert vor allem in Sachen Farbe den entsprechenden Hintergrund. Sei es durch Color-Blocking, bei dem besonders auffällige und knallige Farben kombiniert werden, oder durch nüchternere Versionen beispielweise in Rosa und Apricot. Letztere werden aufsehenerregend mit einer grünen Farbpalette kombiniert. Korall- und Rottöne vervollständigen die Trendfarben. Farbe wird als vorherrschende Note aufgenommen, um harmonische, vibrierende und sogar samtige Atmosphären kreieren zu können – vor allem mit dunklen Tönen und matten oder satinierten Oberflächen. Obwohl in diesem Trend gedruckte Designs seltener zu finden sind, werden einige wenige grafische Vorschläge mit geometrischen und linearen Elementen präsentiert. Wobei die Farbe bei dieser dekorativen Strategie aber stets dominiert.