Kommentar: Messepolitik contra Branchenpolitik

Ralf Schanze, Chefredakteur 1200° Grad.
Ralf Schanze, Chefredakteur 1200° Grad.

Nach der Messe ist vor der Messe. Zeit für ein kleines Messe-Resümee. Die Cersaie 2016 reiht sich ein in die erfolgreiche Liste ihrer Vorgängerinnen. Die Aussteller sind zufrieden mit den Besuchern, die Besucher mit den Ausstellern, die Messeleitung mit beiden. Die Besucherzahlen werden auch stimmen, das ist bei Messen so üblich.

Dennoch ist ein Klimawandel spürbar. Fernab von Novitäten, Trends und allen guten Messegesprächen gibt es eine allgemeine Messemüdigkeit. Messen sind teuer, Messen sind anstrengend, Messen erfordern Innovationen, die ebenfalls teuer sind. Kein Wunder also, dass immer mehr Aussteller darüber nachdenken, ob Messen noch zeitgemäß sind. Auch der Cersaie haben dieses Jahr wieder einige namhafte Unternehmen den Rücken gekehrt, wie Kerateam, Bärwolf oder Ströher. Da kann das Wetter noch so schön sein in Bologna, das Essen noch so lecker und die Italienerinnen noch so hübsch.

Warum das so ist ist schwer zu ergründen. Sicherlich haben die in den letzten Jahren weiter boomenden Hausmessen des deutschen Fliesenhandels auch der Cersaie ein wenig von ihrer Attraktivität genommen. Die firmeneigenen Veranstaltungen von Linnenbecker & Co. darf man als Hersteller bzw. Lieferant einfach nicht versäumen, wenn man auch in Zukunft gelistet sein möchte.

Darüber hinaus ist es den großen Messen einfach egal ob die Aussteller z.B. einen jährlichen Messerythmus gut finden oder nicht. Wie die Umfrage von 1200Grad deutlich beweist würden sich fast drei Viertel aller Befragten einen zweijährlichen Messerythmus der Cersaie wünschen. Aber solange die Messeleitung in Bologna volle Hallen vorzuweisen hat wird sie einen Teufel tun und eine Kuh vom Eis jagen, die sich nach wie vor melken lässt.

Also müssen die Hersteller weiterhin jedes Jahr neue Produkte mit nach Bolgona bringen, obwohl die Serien vom letzten Jahr vielleicht noch gar nicht in die Musterschränke geräumt wurden. Das ist ein Ryhtmus, bei dem man einfach mit muss – egal ob das Geld kostet, sinnvoll ist oder vom Markt so gewünscht wird. Denn Messepolitik ist keine Branchenpolitik. Messen wollen Geld verdienen, am besten viel und jedes Jahr. Wer es wagt auszuscheren riskiert seinen angestammten Messeplatz, wenn er es sich im nächsten Jahr doch wieder anders überlegen sollte. Damit drohen die Messen überall auf der Welt unverhohlen, wenn sich Aussteller überlegen, vielleicht einmal auszusetzen. Aufgestanden, Platz vergangen.

Zum guten Schluß noch eine Anekdote aus der guten alten Zeit, an die wir dieses Jahr von einem Händler in Bologna erinnert wurden. Frei nach dem Motto „früher war alles anders, vor allem aber besser!“ In den Achtziger Jahren – auch damals wurde übrigens schon intensiv über einen zweijährigen Cersaie-Rythmus diskutiert – lud der deutsche Fliesenhersteller Jasba seine Kunden in eine pompösen Villa vor die Tore von Bologna zur Neuheitenpräsentation ein. Busweise wurden Händler, Geschäftspartner und Pressleute in ein edles Ambiente gekarrt, um mit ihnen die Novitäten und ein bisschen auch sich selbst zu feiern. Was für Zeiten – heute undenkbar. Jedenfalls für Jasba. Schade.

Ralf Schanze

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