Julian Tintelnot: „Marken stiften Identifikation und Orientierung“
Geschäftsführer der Linnenbecker-Gruppe im Interview zur neuen Markenpolitik
Schon auf der diesjährigen Cersaie 2018 hat Dipl.-Kfm. Julian Philipp Tintelnot, Geschäftsführer der Wilhelm Linnenbecker GmbH & Co. KG.in einem Interview mit 1200Grad angedeutet, dass sein Unternehmen demnächst verstärkt auf eine selektive Markenpolitik im Fliesenhandel setzen will. Wir haben ihm in einem ausführlichen Interview dazu noch einmal um Stellungnahme gebeten, um uns die Hintergründe dazu ausführlicher zu erläutern.
Welche Bedeutung haben Marken in der Fliesenwelt?
Grundsätzlich haben Marken die Funktion, dass sie über ein als gegeben angenommenes Maß an Qualität hinaus dem Konsumenten einen zusätzlichen Nutzen, einen Mehrwert, stiften. So kann eine Marke dazu führen, dass der Verbraucher das mit ihr assoziierte Image auf sich übertragen möchte, Marken führen zu einer reduzierten Unsicherheit bei der Kaufentscheidung und stiften nicht zuletzt Identifikation und Orientierung. Gerade in unserer Branche, die sich dadurch auszeichnet, dass Halbfertigprodukte meist nur in Zyklen von ungefähr 25 Jahren nachgefragt werden, ist es schwierig, eine wirkliche Marke aufzubauen, die sich durch die Elemente einer überproportional hohen Markenbekanntheit und eines spezifischen Markenimage auszeichnet, dafür ist die Häufigkeit, mit denen ein Endverbraucher mit Fliesenmarken in Kontakt kommt, einfach zu gering. Trotzdem führen Shop-in-Shop-Lösungen, Markenwelten bzw. gesondert markierte Produkte und Sortimentsbestandteile dazu, dass sie einem Endverbraucher in unserer Ausstellung die Orientierung erleichtern und wir auch darüber in der Lage sind, unterschiedliche Preisstellungen durch die Art der Präsentation und die Inszenierung des Produkts zu untermauern. Darüber hinaus führen derartig markierte Sortimente dazu, dass sie unseren Ausstellungsmitarbeitern den Verkauf eines teureren “Markenprodukts“ erleichtern, weil sie so besser eine Geschichte über den Mehrwert, den die Marke stiftet, erzählen können.
Marken führen zu einer reduzierten Unsicherheit bei der Kaufentscheidung und stiften nicht zuletzt Identifikation und Orientierung.
Welche nennenswerten Marken außer Villeroy & Boch gibt es überhaupt?
Neben Villeroy & Boch, die ihre Bekanntheit und ihr Image sicherlich vermehrt aus den Bereichen Sanitär und Tischkultur ziehen, gibt es in meinen Augen die Lizenzmarke Schöner Wohnen, die eine Markenbekanntheit von über 80 % aufweist und enormes Potential als Dachmarke zur Präsentation unterschiedlicher Bodenbeläge über die Fliese hinaus bis in den Interiorbereich hat. Daneben gibt es Marken, die wir in unseren Ausstellungen präsentieren, die nach wissenschaftlich-enger Definition sicherlich nicht den Kriterien einer Endverbrauchermarke entsprechen, allerdings durch die Inszenierung ihrer Geschichte, das Arbeiten mit Bildwelten, Shop-in-Shop-Lösungen etc. dazu führen, dass Sie Orientierung stiften und unsere Ausstellung im Sinne einer erlebnisorientierten Inszenierung aufwerten. Dazu würde ich Marken zählen, beispielsweise Rex, Cedit, Porcelanosa und Venis aber auch Agrob Buchtal, hier natürlich mit speziellem Fokus auf das Objektgeschäft.
Das Bekenntnis zur Markenpolitik ist angesichts der Tatsache, dass viele Händler lange Zeit auf Eigenmarken gesetzt haben, ein ziemlicher Umschwung?
Die Aktivitäten des Handels, angefangen von Maßnahmen der verdeckten Auszeichnung über Anonymisierung bis hin zu einem Eigenmarkeneinsatz, der einen direkten Wettbewerb zu anderen bestehenden Industriesortimenten hervorgebracht hat, haben zu einer Entfremdung von Industrie und Handel beigetragen. Der Handel war und ist getrieben von der Angst vor seinem direkten Wettbewerber und in den letzten Jahren vermehrt vor der Preistransparenz, die durch das Internet entstanden ist. In
Der Handel war und ist getrieben von der Angst vor seinem direkten Wettbewerber und in den letzten Jahren vermehrt vor der Preistransparenz.
dieser Situation hat sich der Handel selbst allerdings seiner Differenzierungsmöglichkeiten durch erlebnisorientierte und markengestützte Ausstellungen beraubt und so dazu beigetragen, dass der Fokus auf den Preis reduziert wird.
Wenn uns tatsächlich die Sorge vor dem Internet maßgeblich treibt, müssen wir in Zukunft versuchen, uns stärker von diesem Vertriebskanal zu differenzieren und uns nicht durch Maßnahmen der Anonymisierung und Entfremdung mit ihm gemein machen. Dabei bedeutet unser Strategiewechsel hin zu einer konsequenteren Markenpolitik nicht, dass wir uns komplett von Eigenmarken abwenden – vielmehr muss das Verhältnis von Eigenmarken und markierten Industrieprodukten neu austariert und in eine friedliche Koexistenz gebracht werden, die wir in den letzten Jahren aus den Augen verloren haben.
Wie hat die Industrie auf Ihre Vorschläge reagiert?
Wir haben die veränderte strategische Ausrichtung im Rahmen der diesjährigen Cersaie in Bologna mit unseren Industriepartnern kommuniziert und sind dabei häufig zunächst ungläubigem Erstaunen begegnet. Grundsätzlich haben fast alle Industriepartner unisono dieses Vorgehen begrüßt, haben die Handelshäuser doch in den letzten Jahren durch die Maßnahmen zur Anonymisierung und Entfremdung erhebliche Teile der Marketingaufwendungen der Industrie mit zum Teil größeren siebenstelligen Budgets gar nicht genutzt.
Hier gilt es aber jetzt auch, kurzfristig erste konkrete Schritte zu initiieren, anhand derer die veränderte Vertriebsausrichtung der Linnenbecker Gruppe nach innen und außen sichtbar wird und konkret Form annimmt. Die wohlmeinende, aber doch in Teilbereichen skeptische Reaktion der Verantwortlichen aus namhaften Industrieunternehmen werte ich als einen Beleg dafür, inwieweit sich Handel und Industrie in den letzten Jahren voneinander entfernt haben. Hier gilt es nun, Gräben zuzuschütten und wieder stärker aufeinander zuzugehen.
Die wohlmeinende, aber doch in Teilbereichen skeptische Reaktion der Verantwortlichen aus namhaften Industrieunternehmen werte ich als einen Beleg dafür, inwieweit sich Handel und Industrie in den letzten Jahren voneinander entfernt haben.
Wie wollen Sie diese Markenpolitik im Verkaufsalltag konkret umsetzen?
Zunächst einmal werden wir sukzessive alle Ausstellungen wieder offen auszeichnen um so der Intransparenz, die in Teilbereichen fast zu einer Irreführung des Verbrauchers geführt hat, zu begegnen. Darüber hinaus werden wir in Zukunft wieder stärker die Merchandising- und Verkaufsförderungsaktivitäten unserer Hersteller, was Verwendung von Markennamen, Bildern und Motiven betrifft, zum Einsatz bringen. Weiterhin werden wir mit den Partnern, mit denen wir im Rahmen einer strategischen Partnerschaft zusammenarbeiten, kurzfristig schon im ersten Quartal des nächsten Jahres beginnen, alle Ausstellungen auf Markenwelten und Shop-in-Shop-Konstellationen umzurüsten. Damit einher wird eine umfangreiche Schulungskampagne gehen, mit der wir uns gerade in unserem Ausstellungsgeschäft zukünftig stärker darauf konzentrieren wollen, einen Mehrwert über den Verkauf ganzheitlicher Konzepte zu realisieren als uns primär wie in der Vergangenheit auf den Preis eines Einzelprodukts reduzieren zu lassen.
Diese Maßnahmen werden wir flankieren durch eine Werbeoffensive über Social Media Kanäle, die wir mit dem exklusiven Content unserer Markenpartner aktiv bespielen wollen. Abgerundet werden diese Maßnahmen durch einen Relaunch unserer Internetseite im ersten Quartal, die konsequent und folgerichtig unser geändertes Markenverständnis transportieren wird.
Denken Sie, dass andere Händler Ihrem Beispiel folgen werden?
Es wäre anmaßend, jetzt für meine Kollegen aus dem Handel diese Frage beantworten zu wollen. Ich glaube, dass es weiterhin eine herrschende Meinung gibt, die den Weg der Anonymisierung und Entfremdung von Marken in den Ausstellungen des Handels als richtiges Vehikel einschätzt, um sich von direkten Wettbewerbern vor Ort zu differenzieren und sich einem Preisvergleich durch das Internet zu entziehen. Noch einmal – ich halte dies persönlich für einen Irrweg, ist die Preis- und Informationstransparenz durch das Internet unumkehrbar, weshalb wir nicht in Don Quijotscher Manier versuchen sollten, dieses Medium zu bekämpfen, sondern in dem Sinne zu nutzen, dass es unsere Fachhandelspositionierung stützt. Sofern wir diese veränderte Positionierung und strategische Ausrichtung für uns allein beanspruchen können, tun wir in der aktuellen Marktphase zumindest etwas, was uns insgesamt als Branche fehlt – wir versuchen anders zu sein, sind offen für Neues und scheuen nicht die Veränderung!
Wir versuchen anders zu sein, sind offen für Neues und scheuen nicht die Veränderung!
Hat die Inkjet-Technologie die Austauschbarkeit der Produkte bzw. Lieferanten verschärft?
Eindeutig ja – durch die zunehmende Verbreitung der Inkjet-Technologien im Markt haben sich aus meiner Sicht die Produktlebenszyklen noch einmal reduziert, was uns als Händler vor enorme Herausforderungen stellt, was einerseits die Bemusterungsaktivitäten, andererseits aber auch die Fragen der Lagerhaltung betrifft. Weiterhin hat diese Technologie in Teilbereichen zur Folge gehabt, dass die Designs nicht mehr nachfragegetrieben entwickelt werden, sondern sich zunehmend daran orientieren, bestmöglich die technologischen Möglichkeiten zur Entfaltung zu bringen. Gerade diese Entwicklungen führen dazu, dass wir uns entschieden haben, uns bewusst und aktiv mit der Inszenierung von Produkten in unseren Ausstellungen auseinanderzusetzen, um so Produkte, die der Gefahr einer zunehmenden Austauschbarkeit unterliegen, hervorzuheben und über die Präsentation in einem Markenumfeld mit einem Mehrwert zu versehen, der aus der reinen Optik des Produkts heraus nicht zu argumentieren wäre.