
Eurobaustoff: Krise erreicht den Bau
Gute Stimmung, aber schlechte Zahlen auf der Gesellschafterversammlung in Baden-Baden
Auf der diesjährigen Gesellschafterversammlung der Eurobaustoff in Baden-Baden war eigentlich alles angerichtet für eine erfolgreiche Veranstaltung: bestens gelaunte Gesellschafter, das mondäne Umfeld der schönen Schwarzwald-Stadt und ein netter Come-together Abend im lauen Sommerambiente. Doch so richtig gute Stimmung wollte bei Deutschlands größter Einkaufskooperation nicht aufkommen. Ein erfolgreicher Event wurde es dennoch.
Video-Interview mit Dr. Eckard Kern:
Irgendwie hatte es jeder schon geahnt, dass die sensationellen Zahlen des letzten Jahres sich nicht so fortsetzen würden. Die durch vorgezogene Einkäufe erzielten Umsätze und ein preisbedingtes Wachstum hatten bereits im Jahr 2022 ein verzerrtes Bild gezeichnet. Nun folgte bei den Gesellschaftern und Verarbeitern ein Lagerabbau, der den Umsatz in den ersten Monaten 2023 beeinträchtigte. Hinzu kam eine hohe Inflationsrate, Lieferengpässe, ein einbrechender Wohnungsbau, verunsicherte Bauherren und eine fehlende politische Unterstützung. Nach einem verhaltenen Jahresbeginn folgten deshalb ein sehr schlechter April und Mai.

Die Kooperation hat per 31. Mai für die ersten fünf Monate des laufenden Geschäftsjahres ein zentral abgerechnetes Einkaufsvolumen von rund 3,26 Mrd. Euro und damit einen Rückgang von 17,07 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ausgewiesen (lesen Sie dazu auch unseren Bericht über die aktuellen Eurobaustoff-Zahlen von der BAU hier). Die Geschäftsentwicklung in fast allen Warenbereichen bleibt insgesamt schwierig. Zu den Verlierern gehört leider auch der Bereich Fliesen, der einen Rückgang von fast 20 Prozent zu verzeichnen hat. Dr. Kern beklagte im Video-Interview mit 1200Grad in diesem Zusammenhang, dass es die Industrie mit den Preiserhöhungen “einfach übertrieben habe.” Der Verbraucher habe deshalb z.T. “Abstand vom Produkt Fliese genommen.”
Nach drei fast unvorhersehbaren Jahren sei man 2023 in Deutschland inmitten eines „Baugenehmigungsschocks“ gelandet, erklärte Hartmut Möller, Eurobaustoff-Geschäftsführer für den Geschäftsbereich Gesellschafterbetreuung und Einkauf in Baden-Baden. Die Lager seien weiterhin gut gefüllt. Allein im Dezember 2022 wurde 10 % des gesamten Jahresumsatzes erzielt. Möller hofft auf eine Normalisierung der Geschäfte in der zweiten Jahreshälfte, doch die drastischen Rückgänge des ersten Halbjahres seien nicht mehr aufzuholen.

Wesentlich freundlicher präsentiert sich nach Auskunft von Möller, der auch für die
Ländergesellschaften in Österreich und der Schweiz zuständig ist , die Baukonjunktur in den südlichen Nachbarländern.
Dr. Eckard Kern, Vorsitzender der Eurobaustoff-Geschäftsführung, war spürbar unwohl, die Diagramme mit den Umsatzkurven vorzulegen. Eine derartige Entwicklung wie im ersten Halbjahr 2023 hat die Branche noch nie erlebt. Sogar langjährige und erfahrene Manager konnten sich nicht an eine so dramatische Entwicklung erinnern.
Die Nerven liegen blank
Fakt ist, die Branche ist kurz davor, die Nerven zu verlieren. Die Wut vieler Marktteilnehmer im Handel richtet sich gegen fortlaufende Preiserhöhungen der Industrie und auch gegen die Politik, die einfach kein Mittel findet, um die Talfahrt zu stoppen und die mit ihren Entscheidungen anscheinend viele Dinge noch schlimmer macht. Katharina Metzger, Präsidentin des Bundesverbandes des Deutschen Baustoffhandels (BDB), ging jedenfalls bei ihrem Grußwort in Baden-Baden scharf mit der Politik ins Gericht: „Chaos“ und „grob fahrlässig“ waren nur zwei Worte, die in Richtung Berlin fielen und dafür erhielt Metzger von den Eurobaustoff-Gesellschaftern viel Applaus.
Steigende Umsatzkurven wird es in den Charts der deutschen Baubranche wohl in diesem Jahr nicht mehr geben. Angesichts dieser dramatischen Situation könnte man geneigt sein, den Kopf in den Sand zu stecken. Die Eurobaustoff hat in Baden-Baden jedoch erstaunlicherweise eine “Jetzt erst recht”-Haltung eingenommen und sieht sich auch für eventuell kommende Krisenmonate gut aufgestellt. Dr. Kern versuchte in seiner Rede Zuversicht zu vermitteln und präsentiert eine ganze Reihe von Vorschlägen, wie man das Ruder im Handel herumreißen will.

Nicht den Kopf in den Sand stecken
Dazu gehören verstärkte Vertriebsaktivitäten, Prozessoptimierungen, eine noch bessere Nutzung der Zentralläger, Konzepte für das Thema Nachhaltigkeit und neue Geschäftsfelder wie die Photovoltaik. „Das Thema nachhaltiges Bauen bietet große Chancen. Im Bereich der energetischen Sanierung besteht ein enormer Bedarf,“ so Dr. Kern. Der Baustoffhandel muss hier zum Partner für Handwerker und Bauherren werden, der Maßnahmen bündelt und ein kompetenter Ansprechpartner ist. Dafür sind Investitionen in Mitarbeiter-Schulungen und Marketing erforderlich.
Auch das Thema IT-Sicherheit bereitet Sorgen. In Baden-Baden appellierte die Eurobaustoff erneut an ihre Gesellschafter, ihre Anstrengungen in diesem Bereich zu verstärken. Zahlreiche Angriffe in der Baubranche, z.B bei Knauf, haben gezeigt, dass auch der Mittelstand verstärkt ins Visier der Hacker gerät. Viele Unternehmen sind darauf jedoch schlecht oder gar nicht vorbereitet.
Dr. Kern verlängert für fünf weitere Jahre
Zwei sehr erfrischende Vorträge gab es noch zum Ende der Eurobaustoff-Gesellschafterversammlung. Zum einen waren da die Vertreterinnen und Vertreter des Eurobaustoff-Jungunternehmen-Forums, die ihre Gedanken, Wünsche und Vorstellungen in ebenso provokanter wie pointierter Weise präsentierten und dabei kein Blatt vor den Mund nahmen. Und auch der Impulsvortrag von André Wiersig, der als Offshore-Extrem-Rekordschwimmer auf allen Ozeanen dieser Welt zuhause ist, erntete zum Schluss lang anhaltenden Applaus von den Gesellschaftern. Applaus gab es außerdem auch noch, als verkündet wurde, dass der Aufsichtsrat den Vertrag mit Dr. Eckard Kern um weitere fünf Jahre verlängert hat.
Die nächste Eurobaustoff-Gesellschafterversammlung findet vom 13.-15.06.2024 in Wien statt. Dann hoffentlich wieder mit Umsatzkurven, die nach oben zeigen.
