“Es wird niemals dazu kommen, dass es keine Fliesen mehr gibt“
120Grad Trendbarometer und Umfrage zum Thema Energiekrise
1200Grad stellt jeden Monat in seinem Trend-Barometer an die Leser eine Frage, die wir durch eine Umfrage bei Industrie und Handel ergänzen. Im August lautete diese aktuelle Frage: “Welche Folgen erwarten Sie für Ihr Unternehmen bei einer möglichen Reduzierung der Gasliefermengen bzw. einem vollständigen Stopp”?
128 Leser hatten geantwortet und eine der vier möglichen Antworten angeklickt. Danach erwarten jeweils ein gutes Drittel Kurzarbeit und/oder Entlassung von Mitarbeitern (35 %) sowie Insolvenz (34 %). Ein Fünftel rechnet nicht mit Folgen (20 %) und lediglich 12 Prozent geht von einer vorübergehenden Einstellung der kompletten Produktion aus. Die Unternehmen, bei denen wir uns direkt erkundigt hatten, haben wir zusätzlich gefragt: “Wie gehen Sie in Ihrem Unternehmen mit den massiv steigenden Energiepreisen (speziell Gas) um und welche Maßnahmen planen Sie?”
Hierzu erreichten uns eine Reihe von Antworten, unter denen die ausführlichste von Klaus Kühn kam, dem Bereichsleiter Fliese bei Eurobaustoff. Kühn stellte zunächst klar, dass sein Handelsunternehmen über keine Produktionsstätten und keine eigenen Lager verfüge. Die Gesellschafter würden hier sehr unterschiedlich agieren – je nach ihren verschiedenen Kompetenzen. So hätten einige Händler sich Projektmengen, die sonst noch auf Abruf stehen würden bereits ins Lager geholt oder in die Läger der Verarbeiter mit Lagerkapazität geliefert. Bei den Anschlusshäusern habe sich auch die Zahl an Einlagerungen – selbst verhältnismäßig kleiner Kommissionen – deutlich erhöht.
Insgesamt verzeichne die Kooperation aber eine Verknappung der Waren bei einer weiteren Verteuerung, so Kühn. Die höheren Kosten müssten über die Kalkulation an die Verkaufspreise weitergegeben werden – für die Fliese könne das allerdings auch bedeuten, dass sie dadurch eine höhere Wertigkeit erhalte.
Klaus Kühn erwartet mittelfristig eine Normalisierung der Transportlogistik auf vertretbare Preise und Verfügbarkeiten. Dann überlege man, die Beschaffung wieder auf Übersee auszudehnen. In Anbetracht einer derzeitigen Verdoppelung der Einkaufspreise bei Fliesen im Preiseinstiegssegment lohne sich wieder der Blick nach Alternativen. Zudem gebe es auch etwa in Brasilien und Indien interessante Fliesenproduzenten, ganz zu schweigen von den osteuropäischen Werken mit enormen Kapazitäten. „Bei einem international ausgerichteten Beschaffungsmarkt wird es jedenfalls niemals dazu kommen, dass es keine Fliesen mehr gibt“, beruhigt Kühn.
Gaspreisentwicklung derzeit unkalkulierbar
Die Gaspreisentwicklung sieht er derzeit unkalkulierbar. Hier gehen laut Kühn die Extreme weit auseinander; so würde eine Megawattstunde Erdgas zwischenzeitlich bereits wieder 140 Euro weniger kosten als zu Spitzenzeiten.
„Ganz spannend wird es, wenn man dem alten kaufmännischen Gesetz von Angebot und Nachfrage folgt“, erwartet Kühn bei einem sich verschärfenden Nachfrageüberhang steigende Preise. Es bleibe aber abzuwarten, ob es auch in Deutschland zu Preisdeckelungen von Seiten der Politik komme – und wie sich die Gasumlage auf die Preise auswirken würde. Nur auf den Gaspreis zu schauen, greift laut Kühn indes zu kurz: „Auf Vorlieferantenseite muss auch die Preisentwicklung etwa für Rohstoffe, Paletten und Folien beachtet werden, ebenso wie die Anpassung bei Löhnen und Gehältern im Blick zu behalten ist“.
Hinsichtlich der Fliesennachfrage erwartet der Eurobaustoff-Bereichsleiter keinen Nachfrageeinbruch. Der hiervon möglicherweise betroffene Einfamilienhaus-Bau mache nur einen Teil des gesamten Neubauvolumens aus, das wiederum nur mit etwa einem Drittel am gesamten Baumarkt beteiligt sei. Modernisierungsmaßnahmen – also das Bauen im Bestand – würden hingegen mit zwei Dritteln den wesentlich größeren, von der derzeitigen Krise weit weniger beeinflussten Teil ausmachen.
Bei allem Verständnis für die Probleme der Fliesenhersteller erwartet Klaus Kühn dennoch ein vertrags- und marktkonformes Verhalten der Eurobaustoff-Lieferanten, insbesondere das Einhalten von Preisankündigungsfristen und der Abgabe eines eindeutigen Einkaufspreises, ohne Zuschläge jedweder Art.
Drosselung der Produktion droht in Deutschland
Kathrin Kremski antwortete für die Steuler-Fliesengruppe: „Zunächst muss ein Stopp der Lieferungen aus Russland nicht notwendigerweise auch zu einem Stopp unserer Versorgung führen, wie wir aktuell ja sehen können. Die Gasspeicher werden weiter schnell gefüllt, obwohl kein Gas aus Russland kommt. Da wir Gas als Energieträger in der Fliesenproduktion auf Sicht nicht ersetzen können, würde eine Reduzierung oder Stopp unserer Gasversorgung zu einer teilweisen oder vollständigen Drosselung der Produktion führen.“
Und hinsichtlich der zu ergreifenden Maßnahmen schreibt die Leiterin Marketing und Kommunikation: „Die aktuelle Situation führt leider dazu, dass auch wir die an uns herangetragenen Kostensteigerungen an unsere Kunden über Preiserhöhungen weitergeben müssen. Darüber hinaus suchen unsere technischen Spezialisten permanent nach Möglichkeiten Energie einzusparen. Investitionen, die sich in der Vergangenheit nicht gerechnet haben, tun es jetzt. Dort wo sinnvoll möglich, nehmen wir Geld in die Hand und investieren. Auch wenn die Effekte – gemessen an den gigantischen Kostensteigerungen – nur marginal sind, so ist in dieser Zeit doch jede eingesparte Kilowattstunde wertvoll für Deutschland.“
Gabriele Busse, die neue Pressesprecherin und Senior Manager PR bei der Deutsche Steinzeug ließ von Vorstand Dieter Schäfer ausrichten, dass es seine größte Sorge sei, „dass es bei einem Lieferstopp nicht nur zu einer Rationierung des Gases kommt, sondern dass uns dann auch noch vorgeschrieben wird, wo und wie wir es einsparen müssen“. Die nicht als systemrelevant geltende Fliesenindustrie würde vermutlich nicht mit Gas versorgt, wenn kein Gas mehr aus Russland fließe und es eng werde, so Schäfer. „Wir betreiben in Deutschland vier Fliesenwerke in drei Bundesländern. Wenn wir wissen, wir müssen eine bestimmte Menge Gas sparen, können wir damit arbeiten. Dafür gibt es technische Notfallpläne. Da lassen sich Wartungsarbeiten zum Beispiel so legen, dass ein Werk temporär nicht bewirtschaftet wird. Das Schlimmste dagegen wäre, wenn wir jedes Werk ein bisschen stilllegen müssten. Das wäre für uns eine Katastrophe.“
Die Hälfte der variablen Kosten zur Fliesenproduktion gebe die Deutsche Steinzeug heute für Strom und Gas aus – nach 35 Prozent im Vorjahr. Zudem seien auch die Preise für Rohstoffe und Transport um die Hälfte gestiegen. Deswegen habe sich das Unternehmen gezwungen gesehen die Preise zu erhöhen. „Wir haben uns mit unseren Kunden auf einen Energiekostenzuschlag geeinigt. Das waren harte Verhandlungen“, bekennt Schäfer. „Dabei weiß doch jeder, wie die Energiepreise gestiegen sind. Ich hätte mir mehr Verständnis erhofft.“
Spanische Industrie produziert unvermindert weiter
Die spanische Fliesenindustrie rechnet nicht mit einer Gasverknappung, wie etwa Exportmanager Ricardo Garcia von Argenta mitteilt: „Es wird keine Reduzierung der Gasliefermengen erwartet, und alle unsere Produktionsanlagen laufen wie gewohnt. Ein großer Teil der massiv steigenden Energiepreise wird von Argenta übernommen, zudem sind wir ständig im Kontakt mit unseren Kunden, um gemeinsam die besten Lösungen in diesen schwierigen Zeiten zu finden.“
Ähnlich äußert sich der kaufmännische Leiter von Ceramicas Fanal, Christian Pi: „Bei Fanal unternehmen wir große Anstrengungen, um den aktuellen Kostenanstieg einzudämmen. Wir sehen aber keine Produktionsstopps aufgrund von Gasmangel vor, da wir in Spanien über eine große Kapazität zur Gaserzeugung von verflüssigtem Erdgas (LNG) verfügen. Tatsächlich produziert Fanal zurzeit mit 100 Prozent seiner Produktionskapazität. Zur Kostenweitergabe wendet Fanal einen Zuschlag für die hohen Rohstoff- und Energiepreise an, der diesen September bei 3,50 €/m² liegt. Dieser Aufpreis deckt nur einen Teil der Kostensteigerung ab; aber für Fanal ist es unerlässlich, die produktive Tätigkeit und den Service für unsere Kunden aufrechtzuerhalten.“
Bei der Zubehörindustrie schließlich spielen die gestörten Lieferketten die bedeutendste Rolle. Dural-Vertriebsleiter Olaf Doba schrieb uns: „Wir erwarten weitere Preissteigerungen und Engpässe bei Rohstoffen. Und wir reagieren mit Preisanpassungen sowie zusätzlichen Bevorratungen“.