Die Italiener auf der Cersaie: Farbe im Anmarsch

Baubeginn für den direkten Autobahnanschluss des Keramikdistrikts Sassuolo

“Keramik”: Wohngesundheit zwischen nachhaltigem Wachstum und Handelskriegen“ war das Titelthema der 37. Cersaie. 1200Grad Korrespondentin Alexandra Becker hat sich insbesondere bei den italienischen Herstellern umgeschaut und berichtet, was es Neues aus Sassuolo und Umgebung gibt.

Dabei hat sie auch einen Trend ausgemacht. Alexandra Becker: “Kurz zusammengefasst: Nach dem minimalistischen Grau der vergangenen Jahren wird es wieder bunt. Dabei wird es spannend, ob sich dieser Trend auch in Deutschland, Österreich und Schweiz durchsetzen wird.”

Wie schätzen die weltweit aufgestellten Hersteller den deutschsprachigen Markt ein? Für die italienische Fliesenindustrie insgesamt ist Deutschland der wichtigste Markt – das ist bekannt. Dabei seien die D-A-CH-Länder nach den Aussagen zahlreicher Aussteller geprägt von „wenig Mut zu Gestaltung und zu Farbigkeit“ – das kam im Gespräch mit den Herstellern immer wieder zur Sprache.

Giancarlo Simonetti, Export Manager und Inhaber von Salis, sieht beispielsweise in Deutschland eine starre, wenig dynamische Vertriebsstruktur. Typisch sei dort beispielsweise, dass der Handel noch im Einzelproduktvertrieb auf einen Belag wie beispielsweise Fliesen konzentriere. In vielen anderen Ländern der Welt habe sich hingegen bewährt, mehrere Materialfamilien und Anwendungsbereiche zu kombinieren.

v. li.: Jutta Hellmann, Werksvertretung Deutschland, Giancarlo Simonetti, Export Manager und Inhaber von Salis, Designer Emanuele Picciarelli.
v. li.: Jutta Hellmann, Werksvertretung Deutschland, Giancarlo Simonetti, Export Manager und Inhaber von Salis, Designer Emanuele Picciarelli

Marco Minghetti, Vertriebsleiter Deutschland von Gigacer, bekommt von seinen Kunden und Messebesuchern positives Feedback: „Die neuen Dekore und die kräftigen Farben (rot, blau und orange) kommen sehr gut an.“

Marco Minghetti, Gigacer

Bunt geht es auch bei den Ceramiche di Vietri zu. Der süditalienische Hersteller bringt jahrhundertealte Familientradition in Einklang mit modernem Design.

Ceramica di Vietri Foto: Alexandra Becker

So wird dieses Jahr eine Kollektion des international bekannten, im Februar 2019 verstorbenen Designer Alessandro Mendini vorgestellt, aus dessen Feder auch der neue „Proust“-Sessel stammt. In Deutschland ist das Unternehmen mit wichtigen Referenzen präsent, wie zum Beispiel mit dem Taschen-Verlag-Store in Berlin und Köln.  Der Vertrieb in Deutschland ist über  Gebietsvertreter und einigen Händlern organisiert, die hauptsächlich im Objektbereich unterwegs sind. Die Fliesen werden von Hand bearbeitet und sprechen, so Inhaberin Patrizia Famiglietti „von Kunst und Kultur.“ In vielen Fällen handelt es sich um Sonderanfertigungen nach Kundenwunsch. Für den Showroom wird ein entsprechender Ausstellungsständer bereitgestellt.

Jede Menge weitere farbige Beispiele gab es auf der Messe zu sehen. Darunter von Marazzi:

Marazzi Crogiolo Zellige zeigt mit der typischen marokkanischen Terrakotta-Fliese mit stark glänzender Glasur im Format 10×10 cm Farbe.

Keramik kann mehr als Bad

Beim Messerundgang auf der Cersaie  in Bologna vom 23. bis zum 27.9.2019 fiel 1200Grad ein neuer Ansatz mit extrem vielseitigen Anwendungsbereichen auf. Keramik und Feinsteinzeug wurde auf der Cersaie nicht mehr allein als Bodenbelag oder Wandverkleidung für das Bad gezeigt, sondern erobert sich ganz neue Branchen.  Nachfolgend stellen wir Ihnen einige italienische Firmen vor, mit denen wir auf der Messe Gespräche geführt haben.

Allen gemeinsam ist, dass es für die Händler auf dem deutschen Markt hier noch Potential gibt. Es handelt sich dabei zum Teil um Nischenprodukte, deren Hersteller zur Zeit einen selektiven Vertrieb aufbauen.

Küche &Co.: Mehr als nur ein Fliesenspiegel

Ursprünglich als Hersteller von Markenküchen auf dem Markt unterwegs, hat Scavolini bereits seit 2012 eine eigene Bad-Kollektion. Im Gespräch mit 1200Grad erklärte Exportmanager Giacomo Meoli, dass heute fast alle Küchenausstellungen von Scavolini auch die Bäder der Marke zeigen.

Wer heute einen Scavolini-Shop eröffnet, bietet dem Kunden meistens auf durchschnittlich 200 qm das komplette Spektrum von Küche über Bad bis hin zur Garderobe. Dabei kann es sich um einen Monobrand-Store oder ein Shop-im-Shop-Konzept handeln. Übrigens ist auch der umgekehrte Weg möglich und durchaus üblich, also die Badausstellung erweitert ihr Angebot. Denn viele Eigenheimbesitzer sanieren als erstes ihr Bad und nehmen danach auch die neue Küche in Angriff. Und wer beim Bad bereits beim Kunden punkten konnte, kann so eventuell einen Folgeauftrag generieren.

Alleinstellungsmerkmal durch Nischenprodukte

Bei Oikos Türen gab es besondere Hingucker. Hier werden edle Sicherheitstüren mit dem Oikos-System  mit Natursteinbelägen von Antolini und mit Platten von Laminam geschmückt.

Die Türen auf der Messe waren 3,20m hoch. Im Oikos-Showroom wird sogar eine 5m hohe Tür ausgestellt, Das Riesenschmuckstück dort ist mit hinterleuchtetem Onyx ausgestattet und hat einen Verkaufswert von ca. 80.000 Euro.

Besondere Anforderungen werden für die Türen an das Material gestellt: Der verwendete Naturstein, auf dem Bild spiegelbildlich verarbeitet, muss eine Stärke von nur 5-10 mm aufweisen. Die Feinsteinzeugbeläge sind zwischen 3 und 5 mm stark. Jede einzelne Tür ist eine Sonderanfertigung und bietet dem Handel im Premiumbereich, der auf Objekte im privaten und öffentlichen Bereich spezialisiert ist, ein zusätzliches Geschäftsfeld. In den Ausstellungen (Inneneinrichtung) werden in der Regel eine bis maximal zwei Türen gezeigt. Das Unternehmen bietet Kurse an, in denen unter anderem Fachkenntnisse zur Installation vermittelt werden. Eine solche Tür bewegt sich im Verkaufspreis zwischen 2.000 und ca. 30.000 Euro, in Abhängigkeit von Abmessungen, Material usw.

Keramikatelier: Die Fliese wird zum Kunstwerk

Die Target Group hat sich im vergangenen Jahr als „Keramikatelier“ komplett neu aufgestellt. Die verschiedenen Firmen der Gruppe (Unica, 14Oraitaliana und Fuoriformato) bleiben zwar weiter bestehen. Die Brands gehen jedoch alle in eine einzige Marke Target Group Atelier of Ceramics auf. Im Fokus steht dabei die „maβgeschneiderte“ Produktion nach Kundenwunsch. Ausgedrückt wird dieses Konzept mit der Zusammenarbeit und dem Portrait mit der Design-Ikone Iris Apfel.

Das Konterfei der mittlerweile 98jährigen, die das Weiβe Haus seit Präsident Truemann neunmal eingerichtet hat, war am Messestand auf Keramikfliesen sogar zu erwerben. Dabei handelte es sich um eine limitierte Auflage von insgesamt 12 Stück plus ein Groβportrait.

Auf den vier Keramikfliesen mit dem Portrait von Iris Apfel am Stand von Target Group – Design von Hausdesignerin Rosanna Lombardi –  kommen vier unterschiedliche Techniken zum Ausdruck. Insgesamt sind die neuen Kollektionen auch bei Target Group farbiger.

Von der Fläche in die Raumgestaltung

Auf ein komplettes Raumgestaltungskonzept setzen die Decoratori Bassanesi. Dieser Trend scheint sich international bereits stärker durchzusetzen als in Deutschland. Ziel ist dabei, Gestaltern, Architekten und Endverbrauchern im Showroom aus einer Hand alle Gestaltungselemente zu bieten.

So wird zum Beispiel bei Decoratori Bassanesi wird daher erstmals eine passende Tapeten-Kollektion mit der Fliese angeboten.

Eckdaten zur italienischen Keramikbranche

Die Keramikindustrie jenseits des Brenners bewegte 2018 ca. 17 Millionen Tonnen mit Produkten und erzielte einen Jahresumsatz von 5,7 Milliarden Euro. (wir berichteten bereits ausführlich hier) In 2018 wurden über 507 Millionen Euro investiert und zur Zeit bietet die Branche ca. 22.000 Menschen einen Arbeitsplatz. Die Messe brachte mit der Eröffnungskonferenz darüber hinaus die lange erwartete Freigabe des Baubeginns für den direkten Autobahnanschluss des Keramikdistrikts Sassuolo.

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