Der qualifizierte Handwerksbetrieb bleibt wichtig

Bei den Fliesenverlegern dominieren zunehmend sogenannte „mobile Generalisten“ oder „WhiteVanMen“ – manche sprechen auch von unqualifizierten Kleinstbetrieben – den Markt. Immer mehr Händler und Hersteller stellen sich mit neuen Angeboten auf diesen veränderten Markt ein. Die Redaktion 1200Grad sprach mit Sopro Geschäftsführer Andreas Wilbrand zum Thema mobile Generalisten.

Herr Wilbrand: Können Sie unseren Lesern mit ein paar Zahlen einen Eindruck davon vermitteln, wie sich der Markt in den vergangenen Jahren verändert hat?

Andreas Wilbrand: Von einer Dominanz der mobilen Generalisten, „WhiteVanMen“ oder „werkstattlosen Handwerker“ im Gewerk der Fliesen-, Platten- und Mosaikleger kann sicher nicht gesprochen werden. Nach Analyse des ZDH der Gewerbeanmeldungen gab es in 2016 ca. 69.729 Betriebe, die als Gewerbezweck unter anderem die Ausführung von Fliesen- und Plattenarbeiten eingetragen haben. Das ist im Vergleich zum Zeitpunkt des Wegfalles der „Meisterpflicht“ im Jahre 2004 zwar eine exorbitante Steigerung – damals waren nur ca. 12.400, allerdings in der Regel größere, Betriebe in der Handwerksrolle dafür eingetragen- jedoch ist unklar, ob und in welchem Ausmaß die Kleinsthandwerker tatsächlich Fliesenarbeiten in nennenswertem Umfang auch ausführen, auch wenn ein Branchenkenner die geschätzte „keramische Verlegeleistung“ der Kleinstbetriebe auf bis zu 25 Mio. qm beziffert.

„Von einer Dominanz der mobilen Generalisten kann sicher nicht gesprochen werden.“

Andere Experten schätzen, dass sich die 70.000 Betriebe ganz grob zu  etwa 1/3 aus qualifizierten und ausgebildeten Handwerksbetrieben mit traditioneller Handwerksausbildung, ein weiteres Drittel aus selbstständigen, aber durchaus kundigen Zuwanderern aus Ost- und Südosteuropa und ein weiteres Drittel aus teils nicht im Beruf ausgebildeten Kleinsthandwerkern mit generalistischem Ansatz zusammensetzen. Diese Einschätzung kann aber faktisch nicht bewiesen werden. Auch die statistischen Ämter helfen nicht weiter, weil hier die Beschäftigung mit Gewerbetreibenden in Ausbaugewerken erst bei 10 Personen zählenden Betrieben beginnt. In der Handwerkszählung als Auswertung aus den Unternehmensregistern kennen die Statistiker keine „Beschäftigungsgrößenklasse“ zwischen 1 und 3 tätigen Personen. Also, alles bleibt sehr vage.

In vielen Gegenden Deutschland wartet man inzwischen Monate auf einen Fliesenleger…

Andreas Wilbrand: Die Antwort auf diese Frage, wo der größte Engpass liegt, ergibt sich zwangsläufig, wenn man sich die Hotspots der Bautätigkeit in Deutschland vor Augen führt. Ganz grob sind das in erster Linie natürlich die prosperierenden urbanen Ballungsräume, wo die Bautätigkeit dem Baubedarf deutlich nachhinkt. Dann sind es weiterhin natürlich die Regionen, wo auch kleinere Renovierungs- und Sanierungsaufträge vorliegen, die bei der sehr guten Auslastung vieler alteingesessener Fliesenverlegeunternehmen gar nicht angenommen oder zeitlich extrem verzögert werden müssen.

Der Übergang vom mobilen Generalisten zum Schwarzarbeiter scheint fließend. Wie stellen Sie sich als Hersteller diesem Thema?

Andreas Wilbrand: Schwarzarbeit scheint ein generelles Problem zu sein, mit welchem sich unter anderem die Baubranche auseinandersetzen muss. Den daraus resultierenden sozial- und steuerpolitischen Ansatz können wir als Hersteller von Baustoffen nicht beeinflussen. Eine direkte Beeinflussung unseres Geschäftes durch Schwarzarbeit erkennen wir darin, als wir nicht wissen, wo genau der Baustoffbedarf gedeckt wird, ob im qualifizierten Fachhandel oder doch eher im anonymen Einzelhandel. Darüber hinaus werden wir natürlich auch mit Klagen traditioneller Handwerksbetriebe konfrontiert, die preislich extrem niedrigen Angeboten von Schwarzarbeitern oder Scheinselbständigen nichts entgegensetzen können. Aber auch daran können wir als Hersteller von Baustoffen grundsätzlich nichts ändern.

„Schwarzarbeit scheint ein generelles Problem zu sein.“

Werden die werkstattlosen Handwerker nur von Privatleuten angeheuert oder auch von öffentlichen Auftraggebern?

Andreas Wilbrand: Aus unserer Erfahrung sind die werkstattlosen Handwerker eher im Privatbereich unterwegs und werden hier vornehmlich durch „Mund zu Mund Propaganda“ weitergereicht. Als selbstständige Handwerker haben sie bei öffentlichen Aufträgen von nennenswertem Volumen eher geringe Chancen, es sei denn, sie werden als Subunternehmer größerer Handwerksbetriebe eingesetzt.

Welches Einkaufsvolumen stellen die mobilen Generalisten dar?

Andreas Wilbrand: Aus einer Studie der hagebau geht man von ca. 6,9 Mrd. € in 2017, wachsend auf ca. 7,9 Mrd. € in 2020, allerdings über alle Baustoffsortimente, aus.

Mit welchen speziellen Marketingmaßnahmen sprechen Sie die Zielgruppe der mobilen Generalisten bei Sopro an?

Andreas Wilbrand: Wir haben uns bereits seit Wegfall der Meisterpflicht im Fliesenverlegehandwerk in 2004 der Ansprache auch kleinerer Handwerksbetriebe mit anderen Muttersprachen gestellt, denn die zunehmende „Atomisierung“ der Betriebsgrößen der Handwerksbetriebe und der sprachlichen Herausforderungen war schon damals ein großes Thema. Wir arbeiten heute in einer Vielzahl unterschiedlicher Facetten an der „richtigen“ Handwerkerkommunikation, deren wesentliche Merkmale das wort- und sprachlich unabhängige Erkennen von Baustoffeigenschaften und anwendungstechnischen Systemkombinationen durch die Verwenderzielgruppen ist. Hier ist es wichtig, vieles in Bildern, Piktogrammen oder Modellen zu erklären. Wir entwickeln Baustoffe mit multifunktionalen Einsatzgebieten und fokussieren Speziallösungen nur dort, wo es technisch unumgänglich ist. Wir arbeiten im Rahmen unserer Schulungsakademie in zahlreichen Mitmachworkshops auf Augenhöhe der handwerklich orientierten Teilnehmer und wertschätzen diese durch Urkunden und Auszeichnungen, wenn sie sich erfolgreich in unseren Seminaren mit neuem handwerklichem Wissen und Können weitergebildet haben. Wir kombinieren diese Angebote mit unseren Kunden aus dem Baustoff- und Fliesenfachhandel und nutzen dabei deren lokale Präsenz und Marktdurchdringung.

Nach Meinung vieler Fachleute verdingen sich viele mobile Generalisten als Scheinselbstständige auf deutschen Baustellen. Durch Dumpingpreise und daraus entstehendem Wettbewerbsdruck gehen nach Ansicht der Handwerksverbände zudem Arbeitsplätze verloren und alteingesessene Betriebe verschwinden vom Markt. Wie sehen Sie diese Vorwürfe?

Andreas Wilbrand: Die Feststellungen und Vorwürfe der Handwerkerverbände und Innungen sind mit regionaler Unterschiedlichkeit sicher nicht von der Hand zu weisen und je nach Standort und Ausrichtung auch ein großes Problem. Das Thema beschäftigt auch uns in unseren strategischen Überlegungen und Maßnahmen. Der qualifizierte Handwerksbetrieb ist für uns bei allem Hype um die Kleinstbetriebe von substantieller Bedeutung und sollte es auch für die Branche insgesamt sein. Viele komplexe Aufgaben erfordern qualifiziertes Fachwissen und viel Erfahrung. Denken sie nur an die komplexen Aufgabenstellungen bei der Verarbeitung von keramischen Großformaten oder den technisch immer anspruchsvolleren, „durchdigitalisierten“ Badezimmern, denken Sie an die herausfordernden Anwendungen im Grossküchen- oder Schwimmbadbau. Und denken Sie auch daran, dass wohl jeder erwartet, der eine fünfstellige Summe in eine private „Investition mit Keramik“ investiert, auch perfekte und durchdachte handwerkliche Leistung ohne Reklamationen zu erhalten. Wenn alteingesessene Betriebe aus einer Wettbewerbsverzerrung vom Markt verschwinden, kann das nicht im Sinne unserer Branche sein. Das ist auch Grund für uns, viele Maßnahmen in der Handwerkeransprache und in der Sopro Akademie mit den Handwerksverbänden abzustimmen und nur den qualifizierten Handwerksbetrieben anzubieten.

„Wenn alteingesessene Betriebe aus einer Wettbewerbsverzerrung vom Markt verschwinden, kann das nicht im Sinne unserer Branche sein.“

Ihr Prognose: Kehrt der „Meisterbrief“ ins Fliesengewerbe zurück?

Andreas Wilbrand: Ich habe größte Hochachtung und Respekt vor allen, die trotz vieler gegenteiliger Meinungen weiter um den Meisterbrief im Fliesenlegerhandwerk kämpfen und sich ihn mit vielen guten und nachvollziehbaren Argumenten zurückwünschen. Ich erkenne auch, dass dieses Thema gerade jetzt in der Phase der bevorstehenden Bundestagswahl ein Thema sein kann, mit dem sich die Politik vermehrt beschäftigt und in die eigene Wahlpropaganda einbaut. Ich bleibe hingegen skeptisch, ob das Rad wieder zurück gedreht werden kann und befürchte, dass Handwerkskapazitäten gerade jetzt in der Boomphase dann kollabieren würden.

 

 

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