Die typische Konversation zwischen zwei Messegästen auf der Cersaie läuft ungefähr so ab: „Buon giorno, wann sind Sie angereist? In welchem Hotel sind Sie untergebracht? Haben Sie schon was interessantes auf der Messe gesehen? Welche Trends gibt es denn dieses Jahr?“
Während die ersten Fragen noch relativ einfach zu beantworten sind, fällt es bei den beiden letzten Fragen in den letzten Jahren zunehmend schwerer, eine Antwort zu finden. Im Gegensatz zu früher gibt es nicht mehr „den“ oder „die“ Trends auf der Cersaie. Vielmehr sind es Produktverbesserungen oder Sortiment-Ergänzungen, die das Bild prägen und die es immer schwieriger machen, überhaupt von einem Trend zu sprechen.
Vielleicht ist es auch gar nicht so schlecht, nicht jedes Jahr eine „neue Sau durch´s Dorf zu treiben“, wie es ein Messebesucher markig auf den Punkt brachte. In manchen Fällen sind noch nicht einmal die Neuheiten des letzten Jahres so richtig in den Ausstellungen angekommen. Ständige Neu-Bemusterungen und Ausstellungsumbauten sind ohnehin der Alptraum eines jedes Händlers. Vielmehr wünscht man sich etwas mehr Kontinuität im Geschäft, denn schließlich baut auch der Kunden nicht alle drei Jahre ein neues Bad. Fliesen sind zwar Modeprodukte, haben aber bei weitem nicht den Kollektionsrythmus der Kleidungsindustrie. „Unsere Produkte müssen auch eine Chance bekommen sich zu bewähren,“ so Peter Wilson von der Steuler-Gruppe.
Der Mut zum Trend oder zu eigenwilligen Neukreationen ist deshalb begrenzt. Auf der einen Seite möchte man mit ausgefallenen Novitäten auf sich aufmerksam machen. Auf der anderen Seite weiß man ganz genau, dass die „Brot und Butter Kollektionen“, die den Umsatz tragen, vielfach ganz anders aussehen. Ein Aussteller erklärte uns das so: Auf der Cersaie gibt es zwei Typen von Kunden. Der eine ist schon Kunde des Unternehmens und findet somit ohnehin den Weg zum Messestand. Der andere ist ein potentieller Neukunde, den man beim Vorbeilaufen am Messestand anlocken möchte. Und das geht nur mit ausgefallenen Kreationen, die wenigstens einen kleinen „Aha-Effekt“ vermitteln.
Am liebsten „alles aus einer Hand“
Händler zeigen allerdings wenig Engagement, deshalb gleich bei neuen Lieferanten zu kaufen. Für ein schönes Design möchte man keine Unsicherheit bezüglich des Einkaufs, der Lieferfähigkeit oder der Logistik eingehen. Am liebsten sichert sich der Handel sein Komplett-Angebot bei möglichst wenig Anbietern. Also geht es für die Hersteller auch darum, mit ihren Sortimenten eine möglichst große Bandbreite abzudecken, um dem Handel „alles aus einer Hand“ anbieten zu können.
Doch nicht für alle Keramik-Spezialitäten hat jeder Hersteller gleich die passende Produktionslinie bereit stehen. Das gilt für die weiterhin beliebten XXL-Formate aus den Coninua+ Linien (allein in Italien stehen 18 dieser Anlagen) ebenso wie für die 2 cm Platten für den Outdoor-Bereich. Also kaufen die Produzenten bei der keramischen Konkurrenz ein. Damit scheinen weder Käufer noch Verkäufer ein Problem zu haben. So finden neuerdings auch Großformate den Weg in die Sortimente deutscher Hersteller, die eigentlich dafür keine eigenen Anlagen haben. Der Handel beäugt das Geschäft mit der sogenannten „Industrieware“ argwöhnisch, denn er sieht hier einen Angriff auf seine ihm zugedachten Aufgaben und Funktionen.
Apropos Groß: Nach wie vor bleibt das Handwerk für die XXL-Platten ein Nadelöhr. Nur ganz wenige Fliesenleger und Spezialisten besitzen für das Verarbeiten dieser Produkte das richtige Werkzeug und können die Großformatplatten auch im Transport richtig bewältigen. Deshalb berichteten uns zahlreiche Hersteller in Bologna davon, dass zunehmend Natursteinbetriebe in den Markt drängen, die sich schon seit Jahren mit der Verarbeitung großformatiger Natursteinelemente auskennen.
Digitaltechnik: Fluch und Segen zugleich
Doch nicht nur bei den Formaten, auch bei den Dekoren, Designs und Glasuren, ist kaum noch ein Alleinstellungsmerkmal zu ergattern. Seit der Einführung der Digital-Technik ist es fast unmöglich geworden, sich im Bereich Design einen Vorsprung zu erarbeiten. Dafür ist es schlicht zu einfach, auch aufwändige Designs zu kopieren. Ein Knopfdruck auf die Digitalanlage reicht, um komplizierte Holzmaserungen oder Natursteinimitationen fast perfekt auf den Scherben zu bringen. Somit ist die vielgepriesene Digitaltechnik Fluch und Segen zugleich: Sie ermöglicht zwar eine unendliche Vielfalt und Perfektion, treibt die Branche aber in eine gewisse Uniformität, die der Kreativität nicht zugänglich ist.
Was bleibt sind Mini-Trends, die nur Fachleuten ins Auge springen. Dazu zählen weitere Verbesserungen von Holzmaserungen ebenso wie Marmordesigns auf Riesenformaten, Varianten von Vintage-Ideen an Wand und Boden, Kantengestaltungen von extrem maßgenau bis bewusst unregelmäßig, Travertine-Imitate, Metall-Effekte bis hin zum „Rost-Look“, unendliche Varianten von Grau-, Beige- und Schwarztönen am Boden, Beton-Optiken, Cotto-Applikationen und Terrazzo-Designs. Und wenn Fachleute fast geheimnisvoll darüber sprechen, dass an der Wand „gebrochene Weißtöne“ wieder im Kommen sind, weiß man als langjähriger Berichterstatter dieser Branche nicht, ob man darüber lachen oder weinen soll.
Trends und Impressionen im Video finden Sie hier:
Italien und Spanien mit Pluszahlen
Aber was schert die Branche die Diskussion über Trends, wenn die Auftragsbücher voll sind. Über die positiven Ergebnisse der italienischen Hersteller haben wir schon hier berichtet. Auch die Spanier vermelden wieder Pluszahlen: Deren Auslieferungen in die Bundesrepublik sind in den ersten sechs Monaten des Jahres 2017 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 2,2 Prozent gestiegen (weitere Infos hier).
Die Anzahl der deutschen Hersteller in Bologna ist übersichtlich geworden. Nachdem in den letzten Jahren mit Ströher und Bärwolf gleich zwei prominente Namen der Cersaie den Rücken gekehrt haben, lichten sich die Reihen. Doch die Unternehmen, die in Italien am Start waren, zeigten nach unserer Auffassung überzeugende Auftritte. Sowohl Agrob Buchtal/ Jasba, also auch Villeroy & Boch und die Steuler-Gruppe, präsentierten zwar wenige, aber dafür interessante Neuheiten, die sich zum Teil wohltuend vom Einerlei vieler Italiener abhoben.
Die Messe selber scheint so eine Teflon-Beschichtung zu haben, an der alle Diskussionen um einen anderen Messerythmus und die nach wie vor katastrophale Verkehrs-Infrastruktur abperlen. Immerhin hat man sich nun anscheinend dazu entschieden, das ebenso gehasste wie beliebte Freigelände abzuschaffen. Dafür sollen zwei Hallen abgerissen und erweitert aufgebaut werden, in denen dann auch die Aussteller aus den Areas 44 und 45 Platz finden sollen. Schon 2018 sollen die neuen Messehallen bezugsfertig sein.
Die nächste Cersaie findet vom 24.-28.09.2018 statt – und alle werden wieder vor Ort sein – mangelnde Trends hin oder her. „Buon giorno, haben Sie schon was Interessantes entdeckt? …“
Weitere Infos zu Messe finden Sie in unsere Video-Berichterstattung hier oder auf unserer Cersaie-Sonderseite hier.
Im Laufe der nächsten Tage werden wir Sie noch mit weiteren Infos zu den Neuheiten der Cersaie 2017 und zu den einzelnen Herstellern versorgen.